Gesang und Musik sind wesentliche Elemente eines Gottesdienstes. Wobei die Musik nicht bloss Schmuck ist, sondern seit jeher wesentlicher Bestandteil der Liturgie. So galt der Gesang des Liturgen, eines Priesters zum Beispiel, als Weiterführung des himmlischen Gesangs. Doch wie steht es um die Kirchenmusik in evangelisch-reformierter Tradition? «Die Musik kann den Menschen helfen, mit offenen Ohren und Herzen zu feiern», sagt Uwe Steinmetz. Der deutsche Jazzmusiker hat sich mit der Verbindung von traditioneller Kirchenmusik mit den modernen Formen von Musik beschäftigt. Er gründete das Projekt Waves, das Jazz und Kirchenmusik zusammenbringt und so den Gottesdienst durch neue Klänge beleben möchte.
Gemeinsames Singen verbindet im Glauben
Mit Musik drücken Menschen ihre Spiritualität aus. Sie erreicht uns anders als das gesprochene Wort. Daher sollte sie in der Kirche mehr Raum haben, sagt Jazzmusiker Uwe Steinmetz.
Die Jungen wollen mehr Musik
«Wenn Menschen im Gottesdienst singen, dann hilft dies ihnen, sich selbstbewusster als Christinnen und Christen zu fühlen.» Da in den evangelischen Kirchen jedoch das Wort, die Predigt, im Zentrum steht, hat der Gesang nicht die gleiche Stellung wie etwa in einer Freikirche oder in der Gospelszene. Um gerade auch jüngere Menschen zu erreichen, müssten die Kirchen jedoch lernen, die Musik stärker zu gewichten. «Ansonsten sehe ich keine grossen Überlebenschancen für diese Form von Kirche», sagt Steinmetz.
Bei Konzerten ist die Kirche voll
Dass Musik Menschen in die Kirchen bringt, die ihr sonst eher den Rücken gekehrt haben, diese Erfahrung macht auch Ulrich Weissert. Er ist einer der wenigen hauptamtlichen Kirchenmusiker im Kanton Graubünden und für die Kirchenmusik, also von der Orgel bis zum Chor über Konzerte, in der Kirchgemeinde Davos Platz zuständig. Zu den Konzerten, die Weissert organisiert, kommen schon mal 400 Menschen. Zu Karfreitag führte er mit seinem Chor St. Johann und weiteren Musikern «Ein deutsches Requiem» von Johannes Brahms auf. «Noch Tage später wurden die Sängerinnen und Sänger positiv auf das Konzert angesprochen», so Weissert. Derartige Werke würden in Graubünden sonst nur von Profi-Ensembles
Heilige Musik
Während der in Deutschland klassisch ausgebildete Kirchenmusiker Ulrich Weissert von geistlicher Musik spricht, verwendet der Jazzmusiker Steinmetz lieber den Ausdruck «sacred music» (heilige Musik). Aber was macht Musik nun übersinnlich? «Im Jazz ist es der Moment des Sich-überraschen-Lassens, was als Nächstes geschieht», sagt Steinmetz. Der Jazz lebt von der Improvisation. Und der Musik zuzutrauen, dass sie Menschen berühren kann, das erlebt Steinmetz als spirituell. Für Ulrich Weissert ist die Musik von Haus aus spirituell. Die Melodie eines Kirchenliedes zum Beispiel lasse die Menschen den Text viel besser verinnerlichen, als wenn dieser nur vorgelesen werde.
Nachwuchs gesucht
Menschen drücken seit jeher über Musik ihr Verhältnis zu Gott aus. Musik sollte also einen hohen Stellenwert für die Kirchen haben. Wie aber steht es um ihre Bedeutung bei den Kirchen im Kanton? «Wir brauchen dringend Nachwuchs an Organisten», sagt Weissert. Er hat die kirchenmusikalische Ausbildung der reformierten Landeskirche mit erarbeitet. Doch die Teilnehmerzahl ist noch zu gering, um den Bedarf zu decken. Für Weissert muss mehr geschehen – auch seitens der Landeskirche. «Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass wir eine Grundversorgung an Menschen, die in der Kirche musizieren können, brauchen.»
Ein Gemeinschaftsanlass
Im Sinn des Improvisierens kann sich Jazzmusiker Uwe Steinmetz weitere Lösungen vorstellen, um Engpässe bei Musikern in der Kirche zu überwinden: «Unter Gemeindemitgliedern schauen, wer Musik machen möchte, um dann etwas auf die Beine zu stellen.» Für Steinmetz sind Gottesdienste zuerst Gemeinschaftsanlässe, in denen Menschen zusammen etwas tun. «Der Gottesdienst sollte Raum zum Ausprobieren geben.» Nicht alles müsse perfekt sein. «Das macht es spannend.»