Glaube 21. Dezember 2024, von Vera Rüttimann/kirchenbote.ch

«Ein nie endendes Lied des Vertrauens»

Theologie

Vor 80 Jahren schrieb der Theologe Dietrich Bonhoeffer in Gestapo-Haft einen Brief an seine Verlobte. Die Zeilen eines Gedichts darin machten ihn weltberühmt. 

Die Melodie des deutschen Musikers Siegfried Fietz aus dem Jahr 1972 ist die bekannteste Vertonung von Dietrich Bonhoeffers Gedicht «Von guten Mächten». Sie hat wesentlich zu dessen Ruhm beigetragen. 

Frank Lorenz, Pfarrer der Offenen Kirche Elisabethen in Basel, lernte das Lied als Jugendlicher auf dem Nürnberger Kirchentag 1979 kennen. Die eingängige Popmelodie begleitete ihn an Friedensdemonstrationen, später in Gottesdiensten und bei Trauerfeiern. «Noch heute rührt mich die Innigkeit und Ehrlichkeit manchmal zu Tränen», gesteht er. 

Einprägsame Melodie 

Über die einprägsame Melodie sagt der Musikkenner: «Die Tiefen und Höhen des Lebens sind in die Musik eingeschrieben: Der Bass im Untergrund (‹Von guten Mächten treu und still umgeben›), der dann in die höchste Höhe steigt bis zum ‹getrost› im Kehrvers, der eigentlichen 7. Strophe nach Bonhoeffers eigener Notierung.» 

Die Wiederholung dieser Strophe als Refrain mache Fietz' Fassung zu einem Hymnus im besten Sinne des Wortes: «Ein nie endendes Lied des Vertrauens, was auch kommen mag.» 

Es ist wohl tatsächlich die Benennung der ‹guten Mächte› die das Lied noch heute für viele anschlussfähig macht.
Frank Lorenz, Pfarrer der Offenen Kirche Elisabethen in Basel

Der NS-Widerstandskämpfer und Theologe Dietrich Bonhoeffer wurde 1945 von den Nationalsozialisten ermordet. Der damals 38-jährige Pfarrer gehörte zu einem Widerstandsnetz, das für gescheiterte Attentate auf Hitler verantwortlich war. Über ein Jahr war er im berüchtigten Gestapo-Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Strasse inhaftiert. Am 9. April 1945 wurde Bonhoeffer im KZ Flossenbürg hingerichtet. 

Zeitlos aktuell

Ein Grund, warum Bonhoeffers Text auch heute noch fasziniert, ist für Frank Lorenz dessen zeitlose Aktualität. Er nennt es das «Überindividuelle» des Textes: Die «Ergebung» des Widerständlers und Kämpfers in den Willen und die Fügung grosser, guter Mächte. 

«Es ist wohl tatsächlich die Benennung der ‹guten Mächte› die das Lied noch heute für viele anschlussfähig macht», sagt Lorenz. Das Wort «Gott» kommt nur einmal vor, in der bereits erwähnten siebten Strophe. Ansonsten spricht und schreibt Bonhoeffer in liebevoller, ernsthaft-poetischer Weise an seine Verlobte, um sie zu trösten. Diese Wirkung hält bis heute an. 

Das Gedicht «Neujahr 1945»

Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wolln wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört dir unser Leben ganz.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Können die Zeilen auch in den heutigen Krisen aufrichten? Frank Lorenz sagt dazu: «Es ist ein leises, beharrliches Dennoch, welches das Dunkle nicht ausklammert, sondern benennt und es Gott hinhält und verwandeln lässt, damit wir in der Stunde des Todes die ‹letzte Stufe› gehen können.» 

Der Text schreibe das eigene Leid in das Leid Gottes ein. Bonhoeffer nennt das an anderer Stelle «bei Gott stehen in seinem Leiden». «So gesehen», fügt Frank Lorenz hinzu, «könnte es in den Ruinen von Charkiw genauso gesungen werden wie in Yad Vashem.» 

Atemberaubende Einsichten 

Der Pfarrer ist fasziniert vom Leben und den Einsichten Dietrich Bonhoeffers: «Sein Weg aus der intellektuellen Theologie in die Gemeinschaft und den Widerstand, die existenzielle Spiritualität, die er in der Haft entwickelt hat, und dann der neue Ansatz einer ‹nichtreligiösen Rede von Gott›. Atemberaubend und zutiefst berührend, unglaublich zugänglich für heutige Menschen und doch intim und poetisch.» 

Als Frank Lorenz einige Male das Bonhoeffer-Gedicht «Wer bin ich?» rezitierte, fragten ihn einige, ob er noch mehr solcher Texte von Bonhoeffer habe. Er griff zu «Widerstand und Ergebung», suchte, fand und entwickelte mit befreundeten Musikern ein Bonhoeffer-Rezital namens «Dein bin ich, o Gott».