Der Stoff passt für Stefan Haupt so gut in die Zeit, dass er ihn gar nicht zu aktualisieren brauchte. Der Regisseur lässt «Stiller» in jener Epoche spielen, in der Max Frisch seinen Roman geschrieben hat. Darin verschwindet ein Zürcher Künstler spurlos. Als er zurückkehrt, gerät er zu Unrecht unter Mordverdacht. Freilich wehrt sich Stiller gegen einen ganz anderen Verdacht: der zu sein, als der er gesehen wird.
Das flüchtige Ich
Im Zentrum des Romans steht die Frage nach der Identität. Frisch begreift die Biografie immer auch als Spiel. «Er hinterfragt unser fixiertes Ich und will immer neu die pure Gegenwart spüren», sagt Haupt.
Eine Schlüsselszene ist für ihn das am Zürichsee inszenierte Gespräch zwischen Stiller und Julika. Während sie darauf wartet, dass sich Stiller zu erkennen gibt und die Wunden der Vergangenheit anerkennt, beharrt er darauf, ein anderer zu sein und neu zu beginnen.
Komplexes Männerbild
Auf der Leinwand gewinnt Julika (Paula Beer) im Vergleich zur Romanfigur an Konturen und Stärke. Während sie bei Frisch lediglich aus Stillers Perspektive sichtbar wird, prägt im Drehbuch von Haupt und Alexander Buresch ihr Blick auf die zunehmend fragile Beziehung zum wankelmütigen Künstler wesentlich die Wahrnehmung der Erzählung.
Seine Brisanz gewinnt der Roman für Haupt auch durch das komplexe Männerbild, das er verhandelt. Sven Schelker verkörpert den mässig erfolgreichen Bildhauer Stiller in seiner ganzen charmanten Larmoyanz. Haupt charakterisiert die Hauptfigur als einen «letztlich tief verunsicherten Mann». Sie sprengt fixe Vorstellungen, entzieht sich wiederholt der Verantwortung und ergreift die Flucht. Der Bildhauer scheitert dabei nicht nur in der Kunst.