Engel kommen heutzutage meist ohne flammendes Schwert aus

Schlusspunkt

Kürzlich ist Redaktorin Veronica Bonilla  ein Engel begegnet.  Am frühen Morgen auf der Zürcher Werdinsel.

Anfang dieses Sommers ist mir wieder einmal ein Engel erschienen. Genauer gesagt: Ich durfte einem Schutzengel bei seinem Einsatz zuschauen. Weil ich von meinem Wesen her eher Realistin denn Spiritualistin bin, offenbaren sich mir Engel in der Regel auf recht bodenständige Art. 

Weder überirdisches Licht umgibt sie noch zücken sie ein flammendes Schwert. Ihr Wirken berührt mich jedoch in meinem Innersten und bleibt mir jeweils noch lange im Gedächtnis.

Mutige Mädchen

Es passierte an einem sonnigen Morgen im Flussbad auf der Zürcher Werdinsel. Das Bad war noch ziemlich leer. Nach endlos vielen Regentagen führte die Limmat viel Wasser, dessen Temperatur 20 Grad nur knapp erreichte. Aufgewärmt durch meine morgendliche Joggingrunde, freute ich mich auf die Erfrischung. 

Neben mir auf der Treppe zum Wasser stand ein Vater mit seinen zwei Töchtern. Die grössere war bereits eingetaucht und hielt sich am Geländer fest. Die kleinere, etwa sechsjährige musste offensichtlich ihren ganzen Mut aufbringen, um loszuschwimmen. Schliesslich schaffte sie es. 

Angst mischte sich in seine Stimme

Mit Armen und Beinen heftig rudernd, steuerten die drei das Seil an, das am anderen Flussufer an einem Baum hing. Dort hielten sie sich fest, kreischten und lachten, weil ihnen die Strömung beinahe die Badehosen wegzog. «Lasst uns weiterschwimmen!», sagte der Vater nach einer Weile und liess das Seil los. 

Die kleinere Tochter klammerte sich weiter ans Seil, und auch die grosse blieb. «Lasst los!», rief der Vater lauter und versuchte, gegen den Strom zu schwimmen, hatte aber keine Chance. Angst mischte sich jetzt in seine Stimme. Schnell trieb er von seinen Kindern weg. Was, wenn ihre Kraft nicht mehr ausreichen würde, den nächsten Ausstieg zu erreichen? Die Horrorvorstellung liess den Vater hektisch zum Ufer schwimmen.

Beeindruckende geistesgegenwärtig

Während ich ebenfalls längst viel zu weit weg war, um zu helfen, sah ich, wie ein Bademeister 50 Meter weiter unten Baywatch-mässig sein gelbes Shirt auszog, das Rettungsboard unter den Arm klemmte und loslief. Sekunden später hechtete er ins Wasser und kraulte auf die Mädchen zu. 

Beeindruckt von der Geistesgegenwart und der heroischen Entschlossenheit des Mannes atmete ich auf, der Vater zweifellos ebenfalls. Kurz darauf waren die Mädchen in Sicherheit. Ich fühlte Dankbarkeit aufsteigen, dass ein Schutzengel in Person eines Bademeisters übernommen hatte. 

Wie gut, sind wir als Eltern, ja, als Menschen nicht allein auf dieser Welt!