Vor nicht allzulanger Zeit habe ich an dieser Stelle über das Velofahren in der Stadt als eine Übung in sozialer Verteidigung geschrieben und offenbar einen Nerv getroffen. Viele Zuschriften erreichten mich. Ein Leser bekundete sein Mitleid mit mir und sich selbst, in der «städtebaulichen und menschenfeindlichen Wüste Zürich» überhaupt noch herumfahren zu müssen, ich mit dem Velo, er mit dem Auto. Verkehrschaos und fehlende Parkplätze würden einem als Landbewohner das Vergnügen, eine Ausfahrt in die Stadt zu unternehmen, vermiesen.
Er war nicht der Einzige, der sich grämte: Eine Leserin empfindet es als feindselig, wenn Blaue-Zonen-Parkplätze aufgehoben werden, sodass Besucher, Handwerkerinnen und Lieferanten nicht mehr parkieren können. Ich verstehe die Reaktionen. Natürlich ist es unfair, wenn eine Hebamme auf Wochenbettbesuch keinen Parkplatz findet und dann wegen Falschparkierens gebüsst wird. Gleichzeitig macht mich der tiefsitzende Unmut, den offenbar viele Leute beim Gang oder bei der Fahrt durch die Stadt spüren, nachdenklich.
Ich erhielt aber auch Rückmeldungen von der langsamsten und ungeschütztesten Anspruchsgruppe im städtischen Verkehr: den Fussgängerinnen und Fussgängern. Eine freundliche Leserin liess mir eine «kleine Bitte» zukommen und schrieb: «Bitte vergesst uns Fussgänger:innen nicht und nehmt auf uns Rücksicht, wie ich euch von Herzen viel Rücksichtnahme von allen Autofahrerinnen und Autofahrern wünsche!»
Ja, dachte ich. Ein wichtiger Hinweis. Es tut uns allen gut, immer wieder mal einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und uns zu vergegenwärtigen, dass es ein Miteinander ist. Im Strassenverkehr, aber auch an den meisten anderen Orten auf der Welt. Uns Velofahrenden fällt bestimmt kein Zacken aus der Krone, wenn wir uns in die Lage der Fussgängerinnen versetzen und vor einem Fussgängerstreifen tatsächlich halten oder in gemeinsam genutzten Zonen das Tempo drosseln. Auch die erweiterte Gewerbeparkkarte, die die Stadt Zürich für Handwerker und Servicemonteure einführen will, ist ein Schritt in diese Richtung. Sogar die Verantwortlichen bei der Stadt lernen offenbar dazu.
Ich weiss, im Alltag ist dieses Miteinander nicht so einfach, Fehler passieren. Vielleicht hilft da wieder ein Bibelwort: Der oder die Unschuldige werfe den ersten Stein.