Politik 29. Mai 2024, von Felix Reich

Die stille Revolution

Vergaberecht

Schreiben Kirchgemeinden grosse Aufträge aus, dürfen sie auf Nachhaltigkeit setzen und müssen nicht dem Preisdruck nachgeben. Nun müssen sie die neuen Möglichkeiten nutzen.

Zuweilen kommt der Systemwechsel aus dem Bundeshaus. 2019 hat das Parlament die Totalrevision des Bundesgesetzes über das Beschaffungswesen verabschiedet. 

Uniformen und Solardächer

Was knochentrocken klingt, ist eine Revolution: Wenn Gemeinden, Kantone oder der Bund Aufträge vergeben, müssen sie nicht das günstigste Angebot annehmen. Sie können soziale genauso wie ökologische Faktoren berücksichtigen. 

So kann etwa entscheidend sein, ob Uniformen zu fairen Bedingungen produziert wurden, wenn eine Gemeinde ihre Polizistinnen und Polizisten neu einkleidet. Oder Firmen müssen ihre Lieferkette offenlegen, bevor sie die Solarkollektoren auf das Kirchgemeindehaus installieren.

Wertebasierte Systeme

Für die Landeskirchen öffnen sich nun ganz neue Spielräume. Wie der Staat seien die Kirchen «zwingend wertebasierte Systeme», sagte Marc Steiner unlängst an einer Weiterbildungsveranstaltung, welche die reformierte und die katholische Kirche in Zürich durchführten.

Die Behörden sollten den Werten, wie sie in der Verfassung und in der Kirchenordnung formuliert sind, gerecht werden, wenn sie Gebäude sanieren oder auch Offerten für teure Informatiksysteme einholen.

Wenn der Preis regiert

In seiner Präsentation legte Steiner «archäologische Schichten» des Vergaberechts frei. Das tiefstgelegene Sediment ist der Binnenmarkt. Er erhöht das Risiko von Vetternwirtschaft und Preisabsprachen, weil die internationale Konkurrenz ausgesperrt bleibt und Beziehungen eine wichtige Rolle spielen können.

Als Reaktion auf die dunkle Seite des Binnenmarkts folgten Kartellgesetz und Marktöffnung. Nun wurden einheimische Betriebe mit ihren hohen Lohnkosten von Billiganbietern aus dem Ausland düpiert. Auch Umweltschäden und Transportwege blendete man oft aus.

Kreativer Wettbewerb

Als erste weltweite Organisation habe die Welthandelsorganisation die Probleme erkannt, so Steiner. Sie wollte eine «zukunftsfähige Form des Kapitalismus erfinden» und läutete den Paradigmenwechsel ein. Der Preiswettbewerb sollte abgelöst werden durch einen kreativen Wettlauf um die beste Qualität.

Die dritte Schicht ist nun im Vergaberecht sichtbar: Innovation und Nachhaltigkeit werden gestärkt, die Korruption wird bekämpft.

Der Spielraum nutzen

In der Schweiz haben die Kantone das Vergabewesen inzwischen weitgehend harmonisiert. Im März 2021 hatte der Grosse Rat ohne Gegenstimme dem Beitritt zur revidierten «Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen» zugestimmt. Seit knapp drei Jahren ist das neue Recht im Kanton Aargau jetzt in Kraft.

Im März 2023 schloss sich auch der Kanton Zürich der Vereinbarung an. Der Kantonsrat stimmte dem Vorschlag des Regierungsrat ebenfalls sehr deutlich zu. Inwischen haben alle Kantone das Bundesrecht übernommen und ihre Verfahren harmonisiert. Der Kanton Bern hat den einen eigenen Rechtsweg beschlossen, der nicht direkt über das Bundesverwaltungsgericht führt.

Steiner ermutigte Kirchgemeinden und Landeskirchen, die grüne Revolution mutig umzusetzen und ökologische und soziale Argumente auch wirklich zu gewichten, wenn sie Aufträge vergeben.