Es ist also die designierte Kanzlerpartei, die an den Grundfesten der Demokratie rüttelt?
So einfach ist es nicht. Dieser Diskurs erstreckt sich ja nicht nur auf eine Partei. Wir haben es mit einer allgemeinen Entwicklung zu tun, dass in der Debatte um Asylrecht und Flüchtlinge die Menschenrechte und die Flüchtlingskonvention infrage gestellt werden. Auch der hohe Wert, den wir als Christinnen und Christen der Familie zumessen, erodiert, wenn Familienzusammenzüge verzögert oder verunmöglicht werden sollen, obwohl die betroffenen Menschen ein Anrecht auf Schutz in Österreich und auch ein Recht auf Familienleben haben.
Es hat sich grundsätzlich etwas verschoben in der Politik?
Mir bereitet Sorge, dass elementare Grundwerte, die uns als Gesellschaft tragen, für einzelne Bevölkerungsgruppen erodieren. Das kann unterschiedliche Menschen treffen: Geflüchtete, Menschen, die auf soziale Hilfe angewiesen sind oder auch Menschen, die unterschiedliche sexuelle Orientierungen haben.
Aber der Wahlsieg der FPÖ und der Auftrag an Herbert Kickl, eine Regierung zu bilden, sind doch gerade Ausdruck einer lebendigen Demokratie.
Demokratie erschöpft sich nicht in der Dominanz einer Mehrheit. Zudem muss in einer parlamentarischen Demokratie wie in Österreich zuerst eine Mehrheit gefunden werden. Keine Partei hat ja allein eine Mehrheit. Demokratie lebt auch vom Schutz der Minderheiten, von der Garantie von Grundrechten, die über Mehrheitsentscheiden stehen. Und da haben wir als evangelische Kirche in Österreich eine besondere Sensibilität, weil wir eine Minderheit sind in unserem Land. Die evangelische Kirche hat sich den Minderheitenstatus aber nicht ausgesucht, sie wurde durch politische Verfolgung in der Habsburgerzeit zur Minderheit gemacht. Wir wissen deshalb, was es bedeutet, Rechte vorenthalten zu bekommen. Und wir wissen auch, was es bedeutet, diese Rechte in einer Demokratie zu erlangen: seit dem Protestantengesetz von 1961.
In Ihrem Brief an die Mitgliedkirchen und die Pfarrschaft schreiben Sie, dass die Kirche auch bereit sein müsse, «den Konflikt zu riskieren». Was bedeutet das?
Wenn wir zu dem stehen wollen, was wir glauben, müssen wir dabei bleiben. Wir müssen das Evangelium verkünden und an vielen Orten in Österreich, wo wir beten und Gottesdienste feiern, unsere Werte aufrechterhalten. Dazu gehört die Nächstenliebe, die dem hilft, der unter die Räder zu kommen droht, unabhängig davon, woher dieser Mensch kommt und welchen sozialen Status er hat. Wenn wir das tun, bringt uns dies vielleicht Kritik ein, und es kann zu Konflikten führen. Aber das darf uns nicht davon abbringen, dem treu zu bleiben, was wir glauben und was wir in Wort und Tat zu verkündigen haben.