Empowerment ist ein Begriff, der im Gespräch mit Nora Zangabeyo immer wieder fällt. Die südsudanesische Sozialarbeiterin hält die weibliche Selbstermächtigung für einen der wichtigsten Schlüssel, der die Türen zu einer besseren Zukunft ihres Heimatlandes öffnen kann. Und der Südsudan und seine Einwohnerinnen und Einwohner brauchen Perspektiven und Ansätze aus der Zivilgesellschaft, um die komplexe Krise zu bekämpfen, in der sich der erst 2011 gegründete Staat befindet.
Mission 21 hilft im Rahmen diverser Projekte dort, wo im Südsudan staatliche Institutionen fehlen. Mit seiner Kampagne «Einstehen für eine friedliche Gesellschaft» stellt das evangelische Hilfswerk unter anderem Zangabeyos Arbeit ins Schaufenster der Öffentlichkeit.
Im Verbund mit lokalen Partnerorganisationen eröffnete Mission 21 in der Hauptstadt Juba Anfang Juli das «Peace of her mind centre». Dort bietet Nora Zangabeyo Trainings und Workshops an, in denen Frauen darin geschult werden, sich aktiv an Konfliktlösungen, vorrangig in ihrem engsten sozialen Umfeld, zu beteiligen.
Verantwortung übernehmen
Das Zentrum sei ein «safe space», ein Rückzugsort für Frauen, an dem sie sich austauschen, sich sicher fühlen können, sagt Zangabeyo im Gespräch mit «reformiert.». Sie hilft ihnen bei der Traumabewältigung, klärt sie über ihre Rechte auf, gibt Tipps, wie sie selbstständiger und finanziell unabhängiger werden können.
Die fehlende Unabhängigkeit ist ein zentrales Problem vieler Frauen. Egal ob sie aus einem christlichen oder einem muslimischen Haushalt kommen oder einen traditionellen, regionalen Glauben als sozialen Hintergrund mitbringen: Die patriarchalen Strukturen lassen sich nur schwer aufbrechen.
Das Problem zeigt sich in der Tatsache, dass nach wie vor viele Frauen und Mädchen zwangsverheiratet werden. «Und gerade in Krisenzeiten sind häusliche und sexualisierte Gewalt weitverbreitet», schildert die 55-jährige Sozialarbeiterin die verzweifelte Lage vieler Frauen.
An der Videoschalte nach Juba nimmt auch Florence Hakim teil. Sie ist Koordinatorin von Mission 21 vor Ort und stellt fest, dass sich «die Mentalität ändert, wenngleich langsam». Es gebe immer mehr weibliche Vorbilder, die den Mädchen und Frauen zeigten, dass auch sie Verantwortung und Führungsrollen übernehmen können. Exemplarisch dafür stehen die Vizepräsidentinnen Rebecca Nyandeng De Mabior und Josephine Joseph Lagu, die hinter dem seit der Unabhängigkeit von 2011 amtierenden Staatsoberhaupt Salva Kiir die zweithöchsten politischen Posten im Land besetzen.
Zangabeyo sieht einen Prozess im Gange, der dem patriarchalen System Schritt für Schritt das Wasser abgräbt. «Unsere Frauen sind sehr mutig. Ich ermuntere sie auch immer wieder, Verantwortung zu übernehmen und beispielsweise öffentliche Ämter anzustreben.»
Prekäre Sicherheitslage
Die Aussichten für die Besserstellung der Frauen sind wie alle anderen gesellschaftlichen Entwicklungen an die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen geknüpft. Sie stellen sich seit einigen Monaten als noch schwieriger dar, als sie es vorher schon waren. Seit 2018 ist der Bürgerkrieg zwar beendet, doch von einem befriedeten Land kann keine Rede sein.
Dorina Waldmeyer ist Programmverantwortliche bei Mission 21 in Basel und für den Südsudan zuständig. Sie schildert die Situation als dramatisch. Seit dem Versiegen des Geldflusses der amerikanischen Entwicklungshilfebehörde USAID fehle vielen Organisationen das Geld. «Dazu kommt die prekäre Sicherheitslage», sagt Waldmeyer.
Die Konflikte zwischen den zahlreichen Ethnien brodeln seit vielen Jahren. Hinzu kommen die riesigen Flüchtlingsströme aus dem Kriegsland Sudan, überfüllte Flüchtlingslager und Umweltkatastrophen wie Überschwemmungen sowie die äusserst mangelhafte Ernährungssituation. Über neun Millionen Menschen sind laut Waldmeyer auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Zudem läuft zurzeit ein Gerichtsverfahren gegen den ehemaligen Vizepräsidenten. «An den Prozesstagen geht in Juba gar nichts mehr», sagt Waldmeyer. Die Strassen seien blockiert, die Lage stelle sich insgesamt als sehr gefährlich dar.
Den Zusammenhalt pflegen
Die Frauen, die an solchen Tagen eigentlich Zangabeyos Kurse besuchen wollen, können nicht hingehen. «Es ist leider so, dass der soziale Zusammenhalt in Zeiten wie diesen vermehrt bröckelt. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Teilnehmerinnen mit Rat und Tat beistehen können», sagt Nora Zangabeyo.
Manchmal macht sie daher auch Hausbesuche und gibt Ratgeberinnenstunden unter vier Augen. Bestimmt fügt Nora Zangabeyo hinzu: «Bei allen Problemen: Wir Frauen aus dem Südsudan sind sehr resilient. Und dieses Land gehört auch uns Frauen.»
