Neutralität der Hilfe für Gaza ist gefährdet

Hilfswerk

Die humanitäre Krise im Gazastreifen verschärft sich, Hunger macht sich breit. Auch das Hilfswerk Heks steht aktuell vor grossen Herausforderungen bei der Verteilung der Hilfe.

Im Gazastreifen spitzt sich die humanitäre Lage weiter zu. Neben der ständigen Angst vor Raketen herrschen Hunger und akute Mangelernährung. Mehl ist völlig überteuert, viele Grundnahrungsmittel sind gar nicht mehr erhältlich.

Hilfe zu leisten sei schwierig, sagt Lorenz Kummer, Mediensprecher des Hilfswerk der evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks). Teilweise musste die Nothilfe sogar unterbrochen werden.

Seit dem 2. März waren Lieferungen über Wochen blockiert. Zwar wurde die Sperre inzwischen formell aufgehoben, doch statt wie während der Waffenruhe im Frühling über 600 Lastwagen pro Tag erreichen laut UNO derzeit nur noch wenige Dutzend Fahrzeuge das Gebiet. Unter der Blockadepolitik leiden insbesondere die Kinder. Laut Ärzten, die in Kliniken in Gaza arbeiten, ist jedes fünfte Kind mangelernährt.

Moralisches Dilemma

Gleichzeitig erhöht die israelische Regierung den Druck auf Hilfswerke. «Eine neue Registrierungspflicht verlangt unter anderem, dass Organisationen Angaben zu den lokalen Mitarbeitenden und deren Familien machen», sagt Kummer. Das bringe das Heks in ein moralisches Dilemma. «Unsere Teams sind schon jetzt gefährdet, wir können sie nicht zusätzlich exponieren.» 

Organisationen, die sich in den letzten sieben Jahren öffentlich kritisch zu Israel oder zu Verletzungen des Völkerrechts geäussert haben, droht der Entzug der Registrierung.

Gemeinsam mit über 50 weiteren Organisationen hat das Heks deshalb eine Stellungnahme unterzeichnet. Darin heisst es, die neuen Vorschriften würden unabhängige Hilfe politisieren und humanitäre Prinzipien untergraben. In der Protestnote wird gefordert, dass alle Organisationen neutral, unabhängig und ohne politische Auflagen arbeiten können. Würde ihm die Registrierung entzogen, müsste sich das Heks laut Kummer innerhalb von 60 Tagen aus Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten zurückziehen. Zudem fehlt es an finanziellen Mitteln. Im Vergleich zu anderen Krisengebieten erhält das Hilfswerk für Palästina und Israel weniger Spenden.

Akute Mangelernährung

Im Gazastreifen arbeiten fünf lokale Heks-Mitarbeitende. Sie verteilen Shelter-Kits mit Planen, Decken und Solarpanels, übermitteln Bargeld für Medikamente und Nahrungsmittel. Ein zentrales Projekt ist der Anbau von Tomaten und Gurken auf kleinsten Flächen, denn Vitamine und Mineralstoffe helfen gegen Mangelernährung.

Unterstützt wird das Team von Partnerorganisationen in Ostjerusalem und im Westjordanland. «Unsere Leute haben keinen Strom, sie leben in beschädigten Häusern oder provisorischen Unterkünften», sagt Kummer. Wasser sei so knapp, dass viele zwischen Kochen und Händewaschen wählen müssten. Die Kinder der Mitarbeitenden können seit Monaten nicht zur Schule gehen.

Der Weg ist zu gefährlich

Für zusätzliche Spannungen sorgt ein neues israelisches Verteilungssystem in Zusammenarbeit mit den USA, das von einer privaten Stiftung mit Sitz in Genf koordiniert werden soll. Es sieht vor, humanitäre Güter über zentralisierte Verteilpunkte unter israelischer Kontrolle auszugeben, um sicherzustellen, dass die Hamas keinen Zugriff auf Hilfslieferungen erhält. Zunächst sollen vier solche Zentren entstehen, wo rund 1,2 Millionen Menschen versorgt werden könnten. Am 27. Mai hat die Stiftung gemäss verschiedenen Medienberichten mit der Verteilung der ersten Hilfsgüter begonnen. Die Hamas rief daraufhin zum Boykott des Programms auf und warf der Initiative vor, politische Ziele zu verfolgen.

Heks kritisiert den Ansatz. «Das Modell widerspricht den Grundsätzen humanitärer Hilfe», sagt Kummer. Viele Zivilisten, besonders Alte, Kranke und Kinder, könnten die weiten, gefährlichen Wege zu den Sammelstellen kaum bewältigen.

«Nur eine Waffenruhe und der uneingeschränkte humanitäre Zugang können helfen», sagt Kummer. Doch ein Ende des Kriegs gegen die Hamas, den Israel als Reaktion auf den Terror vom 7. Oktober 2023 begonnen hat, ist nicht in Sicht. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat bereits eine neue Offensive angekündigt.