Beim Kaffee nur «lösliche Versprechen»

Wirtschaft

Eine mit Steuergeld unterstützte neue Austausch-Plattform soll ökologischeren und sozialeren Kaffee fördern. Die Organisation Public Eye nennt es «unverbindliche Quasselbude».

Der flächenmässige Zwerg Schweiz ist ein Kaffee-Riese. Mehr als die Hälfte des weltweit gekauften und verkauften Rohkaffees (ungeröstete Bohnen) wird von den gut 40 Mitgliedern der Swiss Coffee Trade Association gehandelt – ohne dass diese ganze Menge physisch die Schweiz passiert. Doch auch bei den gerösteten Kaffeebohnen ist die Schweiz bezüglich Exportwert von gegen 3,3 Milliarden Franken die grösste Exporteurin. Einen grossen Anteil daran nehmen Nespresso-Kapseln ein, die alle in der Schweiz produziert werden.

Doch rund um den weltweit gefragten Getränkerohstoff ist nicht alles schön und gut. Unter anderem hält die Global Coffee Platform (GCP) mit 130 Mitgliedern aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft fest, dass kleine Produzierende im weltweit grössten Erzeugerland Brasilien Mühe haben, überleben zu können. Und gemäss dem Schweizerischen Verein zur Förderung des Kaffees, Procafé, werden etwa 70 Prozent des Kaffees weltweit von Kleinbäuerinnen und -bauern angebaut.

Schöne Absichtserklärung 

Im Juni hat nun die Branche mit Unterstützung des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und Steuergeldern eine weitere Dialogplattform gegründet: die «Swiss Sustainable Coffee Platform» (SSCP). Deren Mitglieder wollen sich gemäss Absichtserklärung engagieren «für die Förderung sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit in der gesamten Wertschöpfungskette des Kaffees» – mit einem «klaren Fokus» auf der Produktion. 

Nicht überzeugt von den blumigen Worten in den Erklärungen der SSCP ist die Organisation Public Eye. Sie hat erst kürzlich mit fundierten Recherchen unter anderem belegt, wie Versprechen für soziale und ökologische Nachhaltigkeit des Kaffeeriesen Nestlé nicht erfüllt werden. Die SSCP nennt Carla Hoinkes, Landwirtschaftsexpertin bei Public Eye, in einem Kommentar «eine weitere rechtlich unverbindliche Quasselbude».

Es bleibt jeweils bei einem komplett unverbindlichen Dialog. Es gibt keine ambitionierten, verbindlichen Ziele.
Carla Hoinkes, Landwirtschaftsexpertin bei Public Eye

Solche Dialogplattformen gebe es schon viele, sagt Hoinkes auf Anfrage und nennt als Beispiel die internationale GCP. Für einen Austausch könnten solche Organisationen durchaus Sinn machen. Das Problem sei dabei aber: «Es bleibt jeweils bei einem komplett unverbindlichen Dialog. Es gibt keine ambitionierten, verbindlichen Ziele.» 

Es sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass Unternehmen für soziale und ökologische Nachhaltigkeit Verantwortung übernehmen, findet die Expertin. Eine solche Plattform werde keine Regulationskompetenzen haben und rechtlich völlig unverbindlich bleiben. Deswegen bezeichnet Hoinkes auch die staatliche Beteiligung des Seco mit einer Anschubfinanzierung von acht Millionen Franken über vier Jahre als «sehr problematisch».

Ab 2025 nur noch «verantwortungsvoll»

Verantwortung als Unternehmen übernehmen: Gemäss eigenen Aussagen tut das der Kaffee-Riese Nestlé durchaus. Ein Viertel seines Umsatzes oder 22,4 Milliarden Franken machte der Konzern im Jahr 2021 mit Kaffee. Gemäss Public Eye röstet er jede zehnte weltweit geerntete Kaffeebohne. Und der Grossteil wird zu Instant-Kaffee: Rund 80 Prozent der gesamten Menge werden zu Nescafé verarbeitet. Und ab 2025 will Nestlé nun nur noch «verantwortungsvoll» beschafften Kaffee verkaufen. Dazu hat der Konzern 2010 den «Nescafé-Plan» lanciert, der das Leben von Tausenden Kaffeebäuerinnen und -arbeitern weltweit verbessern haben soll.

Das sei aber nicht der Fall, heisst es seitens Public Eye. Mit umfangreichen Recherchen hat die Organisation in mehreren Reports gezeigt, dass auch bei Kaffeebauern und Kaffeebäuerinnen, die am Nescafé-Plan teilnehmen, vieles im Argen liegt. Im Februar kam es etwa in Chiapas (Mexiko) zu Protesten spezifisch gegen Nestlé und zu Verbrennungen von Kaffeesäcken mit der Aufschrift «Nescafé Plan».  

Die Recherchen zu den Versprechen

Die Organisation Public Eye hat kürzlich mit umfangreichen Recherchen aufgezeigt, dass für Produzierende des Welthandelsrohstoffs Kaffee vieles nicht gut aufgeht. Unter anderem mit Berichten im Juni und im März 2024 publiziert Public Eye Tatsachen und Geschichten zu den Versprechen von Konzernen wie Nestlé. Beispielsweise haben sich im Februar – neun Jahre nach Nestlé-Werbevideos zu ihrem Nescafé Plan – in Mexiko etwa 200 Bäuerinnen und Bauern getroffen, um eine Landstrasse zu einer Kaffeeregion zu blockieren. Ihre Wut richtete sich gegen «Nestlé – Unternehmen ohne Ethik, treibt Chiapas in die Armut», wie es auf einem Banner hiess. Eduardo Camarena, selbst Bauer im Nescafé-Video, stand vor brennenden Kaffeesäcken und rief: «Plan Nescafé – pura mentira!» – blanke Lüge.

«Das Problem ist, wie Nestlé verantwortungsvoll definiert», sagt Carla Hoinkes. Das geschehe hauptsächlich mit dem Zertifikat 4C – doch sei das «ein industrienaher Standard mit absolut minimalen Voraussetzungen». Er halte sich gerade mal an die lokalen Gesetze und werde zudem nicht gut überwacht. Die Behauptungen von Nestlé, Einkommen und Lebensstandards würden verbessert, seien teils nicht überprüfbar und teils nachweislich falsch.

Beispiele wie dieses würden zeigen, dass die «Selbstregulierung» durch die Industrie durch freiwillige Zertifizierungen gescheitert sei. Zwar habe der Anteil an zertifiziertem Kaffee auf dem Weltmarkt in den letzten 15 bis 20 Jahren stark zugenommen, doch das Streben der Röstkonzerne nach Nachhaltigkeit zum Billigtarif habe dazu geführt, dass viele Standards und Labels sich gegenseitig unterbieten, was zu Qualitätseinbussen führe.

Forderungen an die Politik

Aus Sicht von Public Eye wäre für die Umwelt und die Produzierenden von Kaffee besser, wenn die Schweiz «endlich griffige Regulierungen einführen» würde. Zum Beispiel müssten Sorgfaltspflichten rechtsverbindlich und effektive Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen werden, fordert Carla Hoinkes. Das ginge ziemlich direkt, meint sie: «Der zentrale erste Schritt wäre, dass die Schweiz rasch und komplett die Konzernverantwortungsrichtlinie der EU nachvollziehen würde.» Denn erst dann würden auch für Unternehmen in der Schweiz Sanktionsmechanismen gelten. 

Nestlé sieht sich auf gutem Weg

Der Schweizer Grosskonzern will Gutes tun. «Mithilfe unserer Grösse möchten wir die Welt zum Guten verändern», heisst es zentral auf der Startseite der Nescafé-Website. Auf kritische Fragen der Organisation Public Eye und der TV-Sendung Kassensturz geht der Konzern nur teilweise ein. Besonders betont er, dass Nestlé den Kaffee nicht direkt von den Bauern, sondern über Mühlen und Lieferanten beziehen würde. Der Kaffeepreis sei keine Variable, die der Konzern allein bestimmen oder kontrollieren könne. 

Gegenüber Public Eye ging Nestlé gemäss der Organisation nicht auf Fragen zur spezifischen Situation in Mexiko ein. Auch nicht auf die Frage, warum nicht auf die Preisforderungen der Bauern eingegangen worden sei. Der Konzern teilt mit, er setze sich in Mexiko «stark für eine verantwortungsvolle und nachhaltige Beschaffung von Kaffee» ein und schätze die positiven Auswirkungen dieses Engagements «auf die Wirtschaft und die Entwicklung der mexikanischen Kaffeeanbaugemeinden».

Ein entscheidender Punkt in der im Mai verabschiedeten EU-Richtlinie sei, dass die Bauern existenzsichernde Einkommen erhalten müssten. Die betroffenen Unternehmen müssen sicherstellen, dass dies kein toter Buchstabe bleibt, denn gerade bei den ersten Gliedern der Wertschöpfungskette des Kaffees herrsche weiterverbreitet Armut, hält Hoinkes fest. «Solange nichts gegen diese Armut unternommen wird, ist es illusorisch, dass Menschenrechtsverletzungen wie illegale Kinderarbeit auf Kaffeefarmen verhindert werden können.»

Empfehlung für direkten Fairtrade-Kaffee

Sollten denn nun alle Kaffeeliebenden aufhören zu trinken? So weit müssen sie gemäss Carla Hoinkes nicht gehen. Aber sich beim Kauf entscheiden: «Es ist ganz klar besser, Fairtrade- und Bio-Kaffee zu kaufen als konventionellen.» Auch da gebe es aber keine Garantie, dass die Herstellung ökologisch und sozial sauber ist oder dass alle Bäuerinnen und Bauern ein existenzsicherndes Einkommen erzielen. 

Absehen sollten Konsumierende von Eigenlabels von Unternehmen oder «schwachen Branchenstandards» wie eben dem 4C von Nescafé. Hoinkes: «Besonders empfehlenswert sind dagegen Anbieter, die über den klassischen Fairtrade-Handel hinaus direkt zusammenarbeiten mit Bäuerinnen, Bauern und Kooperativen und sie angemessen an den Gewinnen beteiligen.»