Porträt 03. Juli 2023, von Mirjam Messerli

Bei ihrer Arbeit dem Himmel ganz nahe

Tourismus

Daniela Wäfler ist Turmwartin. In luftiger Höhe über den Dächern der Altstadt empfängt sie im Berner Münster ihre Gäste.

Das Berner Münster ist in Daniela Wäflers Leben ein Fixpunkt. Schon als kleines Mädchen übte das Gebäude eine unerklärliche Faszination auf sie aus – obschon sie es noch gar nie in echt gesehen hatte. Daniela Wäfler wuchs in Adelboden auf. «Ich war als Kind überzeugt, dass meine Grossmutter im Münster geheiratet hatte.» Das stellte sich später als Irrtum heraus.

Aber das Münster zog Daniela Wäfler weiterhin an. Während ihrer Ausbildung zur Pflegefachfrau konnte sie es vom Salemspital aus sehen. Als sie in der Altstadt wohnte, besuchte sie es regelmässig. Und seit Februar ist das Münster ihr Arbeitsort. Daniela Wäfler ist die neue Turmwartin und arbeitet in fast hundert Metern Höhe.

Wenn die Leute hier ankommen, sind sie meistens ausser Atem, aber auch gut gelaunt.
Daniela Wäfler

Wer die Münsterturmwartin besuchen will, muss eine Wendeltreppe mit 254 steinernen Stufen erklimmen. Auf der ersten Galerie pfeift die Bise. Der Ausblick ist atemberaubend: Wie ein Wimmelbild liegt einem die Berner Altstadt zu Füssen. Auf den sonst versteckten Dachterrassen leuchten Sonnenschirme in allen Farben. Im Westen reicht der Blick bis zum Jura, südwärts liegen die Alpen in der dunstigen Frühsommerluft.

«Ich bin immer wieder begeistert von dieser Aussicht», schwärmt Daniela Wäfler. Dann erklärt sie zwei Touristen, dass sie noch 90 weitere Treppenstufen überwinden müssen, wenn sie den Rundumblick von zuoberst geniessen wollen. «Wenn die Leute hier ankommen, sind sie meistens ausser Atem, aber auch gut gelaunt», erzählt Wäfler. Immer wieder ergäben sich schöne Gespräche.

Daniela Wäfler mag Menschen. Sie arbeitete in der Pflege und als Sozialarbeiterin. Ausserdem führt sie als Wanderleiterin Gruppen durch Island, die Lofoten oder das Piemont. Mit 47 Jahren kündigte sie ihre Stelle als Sozialdiakonin bei einer Berner Kirchgemeinde. «Ich wollte etwas Anderes ausprobieren.» Als für das Münster eine neue Turmwartin gesucht wurde, wusste Daniela Wäfler: «Das ist es. Diesen Job möchte ich unbedingt.» Sie bekam ihn.

Das Münster macht etwas mit einem, wenn man sich von dem Ort berühren lässt.
Daniela Wäfler

Planung ist alles in Daniela Wäflers Alltag. Wenn jemand im Turmsaal zu einem Abendessen mit fünf Gängen einlädt, ist das eine logistische Herausforderung für die Turmwartin und das Catering-Unternehmen. Neben der Organisation von Anlässen ist Daniela Wäfler vor allem für die Sicherheit der Tagesgäste verantwortlich. Dabei muss sie manchmal auch durchgreifen: Wenn jemand ein Kind auf den Schultern trägt und sich über die Brüstung lehnt oder seine Getränkeflasche auf die Sandsteinmauer stellt, schreitet sie energisch ein.

Ihr Motto für die tägliche Arbeit bleibt aber Freundlichkeit. Sie wolle den Besucherinnen und Besuchern auch mitgeben, dass das Münster mehr sei als eine Touristenattraktion: «Das Münster macht etwas mit einem, wenn man sich von dem Ort berühren lässt.» Für sie persönlich ist es in erster Linie ein sakraler Raum. Aufgewachsen in einem freikirchlichen Umfeld und nach einer Zeit, in der sie bewusst Distanz zur Kirche suchte, habe sie heute «einen sicheren Boden im christlichen Glauben».

Nachts auf dem Turm

Wie bereits ihre Vorgängerin wohnt Daniela Wäfler nicht mehr in der Turmwohnung. Darüber ist sie nicht unglücklich. «So sehr ich Menschen mag, so wichtig ist mir auch meine Privatsphäre – und die hat man definitiv nicht, wenn man auch noch hier oben lebt.» Manchmal übernachtet Daniela Wäfler aber im Turm. Betten gibt es in der alten Abwartswohnung keine mehr, aber eine Küche, Dusche und Toilette. Daniela Wäfler rollt dann ihre Campingmatte irgendwo aus und steigt in den Schlafsack.

Die Nächte im Münsterturm seien eindrücklich, erzählt sie. Einmal tobte ein Sturm und der Wind rüttelte an den Fenstern. Ein anderes Mal regnete es so stark, dass die weit unten fliessende Aare einen Höllenlärm machte. Und wenn die Glocken schlagen, vibriert der Boden ganz leicht. Die meisten Nächte verbringt die Münsterturmwartin aber in ihrer Wohnung im Altenbergquartier. Mit Blick auf das Münster.