Porträt 22. Februar 2022, von Nicola Mohler

Wenn die Stube zum Konzertsaal wird

Musik

Die Cellistin Valentina Dubrovina spielt nicht nur in grossen Orches­tern, sondern auch solo in den Wohnzimmern von Spitex-Betreuten.

Während Valentina Dubrovina die zarten Töne und die leichte Melodie von Tschaikowskis «Lied ohne Worte» spielt, wiegt Theres Peyer den Kopf sanft hin und her. Draussen auf dem Balkongeländer steht eine Amsel, als würde auch sie den Klängen lauschen. Kaum hat die 29-Jährige den letzten Ton auf ihrem Cello gespielt, sucht sie sofort den Augenkontakt zu ihrem Gegenüber. Die Hauskonzerte seien sehr intim. «Anders als in einem Konzertsaal vor grossem Publikum spüre ich hier die Emotionen der Zuhörerin ganz unmittelbar.»

An diesem frühlingshaften Febru­arnachmittag ist die Cellistin in Woh­len unterwegs. Sie besucht dort die musikbegeisterte Seniorin Theres Peyer in ihrer Wohnung. Den Besuch organisiert hat die Musik-Spitex, die Künstlerinnen und Künstler für Hauskonzerte vermittelt. Der Mu­sikerin Mirjam Toews kam die Idee während des Corona-Winters 2020. Einerseits drohten ältere Men­schen zu vereinsamen, andererseits fielen Musikerinnen und Musikern Engagements weg.

Gegen Einsamkeit

Zu normalen Zeiten verdient Valen­tina Dubrovina ihr Geld mit Engagements in Orchestern und ebenso mit privatem Musikunterricht. Als die Kon­zerte aufgrund der Corona-Schutz­massnahmen ausfielen, war die freischaffende Musikerin dankbar für die Einsätze bei der Musik-Spitex. Denn während das Konzert für die Zuhörer gratis ist, erhalten die Musiker eine Gage. «Das war nicht nur eine grosse finanzielle Hil­fe, sondern tat auch meiner Seele gut.» Wenn man als Musikerin nur probe und keine Auftritte habe, kom­me ei­nem die Begeisterung mit der Zeit abhanden. «Die Konzerte in den Stu­ben aber brachten die Begeisterung zurück», sagt die in Basel lebende Russin.

Hier spüre ich die Emotionen der Zuhörerin ganz unmittelbar.
Valentina Dubrovina, Cellistin

Sie stammt aus einer Musikerfamilie, begann mit fünf Jahren Klavier und mit acht Cello zu spielen. Nach ihrem Musikstudium in Russland kam sie 2014 in die Schweiz. In Basel absolviert sie an der Hochschule für Musik das Solistendiplom. Musik ist für Dubrovina die Luft, die sie atmet. Ihr Leben.

Zu Tränen gerührt

Wie wichtig ihren Zuhörerinnen und Zuhörern die Konzerte sind, spürt Dubrovina an den Emotionen, die sie mit ihren Stücken auslöst. Oft würden die Zuhörer während der Stücke weinen, erzählt die Cellistin. «Das ist für mich schwierig, denn dann kommen auch mir die Tränen.» Schliesslich sei sie selbst während des Spiels ebenfalls sehr emotional, bringe in der Musik ihre innigsten Gefühle zum Ausdruck. «Aber danach fühlen sich viele Menschen besser. Musik hilft also, weil sie Emotionen zulässt.»

Neben der Musik bleibt bei den Besuchen auch Zeit für ein Gespräch über das Leben, die Musik. Manchmal spreche sie mehr, als dass sie spiele, ergänzt Dubrovina. «Aber das macht nichts. Ich merke, dass ein einsamer Mensch sich über meinen Besuch freut.» Dass sie mit ihren Melodien Menschen ihre Einsamkeit für einen Moment vergessen lässt, macht sie glücklich. Deshalb ist für sie auch schon heute klar, dass sie weiter für die Musik-Spitex musizieren will – auch wenn sich die Konzerte vor grossem Publikum wie­der häufen.

Als letztes Stück spielt Valentina Dubrovina für Theres Peyer «Sicilienne» von Gabriel Fauré. Die von ihr selbst aufgenommene Klavierbeglei­tung zum Cellopart spielt sie mit einer mobilen Anlage ab. Wäh­rend die verträumte Melodie das Wohnzimmer erfüllt, versinkt Theres Pe­yer in Gedanken. Doch während der letzte tiefe Ton des Cellos noch im Raum ausklingt, schauen sich Musikerin und Zuhörerin in die Augen. Die beiden strahlen. Peyer applaudiert und bedankt sich herzlich für diesen für sie unvergess­l­ichen Moment.