Porträt 25. September 2017, von Susanne Wenger

Ein neues Herz und ein verrücktes Radio

Porträt

Gianni Python lebt mit einem Spenderherz. Nun kann er sich wieder seiner Herzenssache widmen – einer ganz besonderen Radiosendung.

Den Sonntag, 6. September 2015, wirdGiancarlo – oder Gianni, wie ihn alle nennen – Python nie vergessen. Er sass zuhause in Wabern bei Bern auf dem Sofa, als der Anruf aus dem Inselspital kam: «Wir haben ein Herz für Sie.» Schon seit anderthalb Jahren stand er auf der Warteliste von Swisstransplant.

Eine Kerze brennt. Was einem in diesem Moment durch den Kopf rase, sei kaum in Worte zu fassen, erinnert sich Python. Erleichterung. Trauer über den gerade verstorbenen, ihm unbekannten Organspender. Zweifel: Soll ich wirklich? Und Respekt vor der erneuten schweren Operation. Erstwenige Wochen zuvor hatte man ihm eine Herzpumpe eingesetzt. Sein schwer krankes Herz war zu schwach geworden.

Noch am gleichen Tag wurde die Transplantation durchgeführt. Als Python aufwachte, standen seine drei Söhne am Bett. Während er von dieser Szene erzählt, laufen ihm die Tränen über das Gesicht. «Ich bin so sensibel geworden», sagt er in seinem Basler Dialekt und lacht.

Seit zwei Jahren lebt er nun mit dem Spenderherz, es geht ihm gut. Einmal im Monat zündet er in der Kirche für den Spender oder die Spenderin eine Kerze an. «Aus Dankbarkeit.» Gläubig sei er durch die existenzielle Erfahrung nicht geworden, sagt er, aber offen für spirituelle Rituale.

Das Ende einer Geschichte. Ein Jahrnach der Transplantation lud Gianni Python Familie und Freunde zu einem Fest ein. Seine Krankengeschichte ende nun, sagte er ihnen. Er wolle wieder tätig sein. Fast dreissig Jahre lang hatte er als Pflegefachmann gearbeitet.

Die Invalidenrente, die ihm wegen der Krankheit zugesprochen wurde, akzeptierte er nur widerwillig. Es zog ihn zurück zum Projekt, das er in Bern erfolgreich aufgebaut hat: das Radioformat «loco-motivo», eine Herzensangelegenheit.

Auf das Konzept war Python während eines beruflichen Aufenthaltes in Chile gestossen. Radio Loco – spanisch für: verrückt – hiess die Sendung dort. Sie wurde von Menschen mit psychischen Erkrankungen in einer Klinik produziert und wöchentlich gesendet.

Durch die Radioarbeit könnten Psychiatrieerfahrene ihr soziales Netzwerk ausweiten, sagt Python. Sie nutzen das Medium als Möglichkeit, das Stigma abzubauen: «Das Radio gibt ihnen eine Stimme.»

Leben im Hier und Jetzt.Seit fünf Jahren geht «loco-motivo» monatlich beim Berner Lokalradio RaBe auf Sendung, getragen von der Interessengemeinschaft Sozialpsychiatrie und in Zusammenarbeit mit der Zürcher Radioschule «Klipp+Klang». Die Beiträgedrehen sich um die Psychiatrie. Inzwischen hat das Radio Nachahmer in Basel, Winterthur und Solothurn gefunden.

Gianni Python begleitet die Berner Redaktion in einem Teilzeitpensum. Gefragt, ob die Zieleerreicht worden seien, übermannt ihnabermals Rührung. Die ermutigende Wirkung, die die Radioarbeit bei den Machern erziele, sei eindrücklich.

Auch die Fachwelt interessiert sich. Im Oktober stellt Python das Radio an einem Kongress vor. So steht er wieder mittendrin. Zukunftspläne macht er keine. Gerade keimt eine neue Liebe. «Wir haben nur ein Leben», sagt er. «Geniesst es, es ist wunderschön.»

Gianni Python, 61

Aufgewachsen ist der Sohn einer italienischen Mutter und eines Vaters mit welschen Wurzeln in einfachen Verhältnissen in der Stadt Basel. Nach einer Lehre als Heizungsmonteur glitt Python in eine Drogensucht ab, die er später überwand.

Er absolvierte eine zweite Ausbildung als Psychiatrie-Pflegefachmann, arbeitete in einem Kriseninterventionszentrum und in einer Wohngemeinschaft für schizophrene Jugendliche. Seit vielen Jahren lebt er nun schon im Kanton Bern. Neben dem Radio leistet er Freiwilligen­arbeit im Sozialbereich.

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