Ihre innere Kraft bleibt unerschütterlich

Entwicklungshilfe

Elizabeth Neuenschwander ging hinaus in die Welt und brachte Leuten Bildung und Arbeit. Ermutigt hat sie das Motto ihres Vaters.

Sie mag jetzt alt sein, ihr Händedruck beinahe zart, ihr Körper zerbrechlich wirken und die Stimme klingen wie ein vertontes Schmetterlingsgaukeln. Doch bei der Begegnung mit Elizabeth Neuenschwander fällt gleich zu Beginn auf: Da ist tief in dieser Frau eine grosse, unerschütterliche Kraft. Sie zeigt sich im offenen und nach wie vor neugierigen Blick. Im häufigen Lächeln und Lachen dringt sie nach aussen. Und ihre Lebensgeschichte ist ein grosser Beweis dafür.

Elizabeth Neuenschwander ist kürzlich 94 Jahre alt geworden, seit einem guten Jahr bewohnt sie ein Zimmer im Alterszentrum in Her­zogenbuchsee. Zur Welt kam sie in Schangnau im Emmental. Geschwister hatte Neuenschwander «einen ganzen Haufen», wie sie lachend sagt. Aber geprägt hat sie vor allem ihr Vater: «Er sagte immer, ich müsse keine Angst haben, gute Leute gebe es überall.»

Ein Zimmer voller Geschichten

Wenn Elizabeth Neuenschwander erzählt, tut sie das inzwischen eher in Fragmenten als in Geschichten. Die Erinnerungen lassen sie öfter im Stich, manche Fragen versteht sie nicht auf Anhieb. Sachte Unterstützung erhält sie beim Gespräch von Hans Rudolf Schwarz, dem Vizepräsidenten der Stiftung Hilfswerk Elizabeth Neuenschwander.

Mein Vater sagte immer, ich müsse keine Angst haben, gute Leute gebe es überall.
Elizabeth Neuenschwander, Entwicklungshelferin

Und in ihrem Zimmer erzählen viele Fotos von Nepal, Afghanistan, Pakistan, ein Teppich von dort und Kleider wie die von Afghaninnen bestickte Bluse, die sie trägt. Auch die Urkunde, die sie als erste Ehrenbürgerin der Gemeinde Schangnau ausweist, hängt an der Wand.Gerade dort hat sie nach dem Aufwachsen als Tochter eines Briefträgers und Schindelmachers und einer Lehre zur Damenschneiderin kaum mehr Lebenszeit verbracht.

1949 war es, als Elizabeth Neuenschwander aus dem tiefen Emmental nach Dänemark auszog. «Das Ausland hat mich immer fasziniert», sagt sie. Und ihr Vater habe sie ermuntert. Animiert wurde sie von der dänischen Köchin des Schangnauer Dorfpfarrers, in den Norden zu gehen. «Ich wollte einfach arbeiten.»

Von Algerien bis Zypern

Das war der Anfang von bewegten Jahrzehnten. In Dänemark bildete sich die Emmentalerin an der Volkshochschule weiter. Textiles Werken und Beschäftigungspsychologie in der Schweiz folgten, später Englischunterricht in London.

Und sie begann, sich auf Aufgaben in Katastrophen- und Kriegsgebieten vorzubereiten, reiste als Volontärin nach Jordanien, Algerien, Griechenland, Belgien und Thailand. Dann folgten Einsätze in Israel, Indien, Nepal, zwischendurch die Leitung eines Wohnheims für tibetische Flüchtlinge in der Schweiz und andere Aufgaben, weiter Jahre im Bürgerkrieg von Biafra (Nigeria), in Algerien, Zypern, wieder Indien und schliesslich Pakistan und Afghanistan. Unterwegs war Neuenschwander für die UNO, das Internationale Rote Kreuz und den Bund.

Wer lesen und schreiben kann, kann sofort viel mehr machen.
Elizabeth Neuenschwander, Entwicklungshelferin

Doch was hat die Frau aus den einfachen Verhältnissen im Emmental zu diesen Einsätzen bewegt? Elizabeth Neuenschwander lacht in ihrer bescheiden warmen Art. Sie habe viel Armut gesehen, sagt sie. Und sie habe gemerkt: Um von der Armut loszukommen, sei Bildung nötig. «Wer lesen und schreiben kann, kann sofort viel mehr aus sich machen.» Das wichtigste Anliegen überhaupt war ihr schliesslich in allem, was sie tat, Menschen zu befähigen, sich selbst zu helfen.

So baute Neuenschwander mit 64 Jahren in Pakistan eine Volksschule auf und Schulen in Kabul und Wardak. Mit 81 gründete sie ein Zentrum für Frauen in Kabul. «Ich musste ja nicht für mich selbst Geld anhäufen», sagt sie energisch. Also tat sie etwas für andere. Über 1400 Kinder lernen in den Schulen, die wie das Frauenzentrum von der Stiftung finanziert werden. Und das ist nur ein Bruchteil der Menschen, für die sich Elizabeth Neuenschwander zeitlebens einsetzte.