«Auch wenn ich erst seit vier Jahren hier lebe, habe ich in Bern meine Heimat gefunden», sagt Faten al-Abbas. Die Irakerin lebte bis 2016 in Bagdad. Ihre eigene Stadt zu entdecken, war ihr lange nicht möglich. Mit 14 Jahren wurde sie verheiratet. Ein Jahr später brachte sie ihren ersten Sohn zur Welt. Ihr Mann verbot ihr, zu arbeiten, Leute zu treffen. In Bern kennt sie nun jede Gasse, verabredet sich mit Freunden und geht ihrer Leidenschaft nach: dem Schreiben
«Eines Tages möchte ich ein Buch schreiben, über mein Leben hier in der Schweiz», sagt die 41-Jährige. Bis es so weit ist, arbeitet sie ehrenamtlich für «Lucify.ch». 2017 half sie das Medienprojekt gründen, das News in fünf Sprachen produziert. Zwölf Journalistinnen und Autorinnen ausländischer Herkunft schreiben Artikel, machen Videos und führen Anlässe durch.
Zwei Welten verbinden
«Wir Frauen bei Lucify schreiben alle leidenschaftlich gern. Leider können wir das beruflich nicht nutzen», sagt sie im Büro von Lucify, einem kleinen Zimmer mit zwei Arbeitsplätzen. Poster vergangener Veranstaltungen wie etwa «Comedy gegen Rassismus» schmücken die Wände. Neben der Familie, dem Erlernen der deutschen Sprache und dem Erledigen des Haushalts bleibe kaum Zeit fürs Schreiben.
Lucify will Einheimische mit Migranten und Migrantinnen in Kontakt bringen. Und Faten Al-Abbas möchte, dass deren weibliche Stimmen auch in der Medienlandschaft der Schweiz wahrgenommen werden. «Wir zugezogenen Frauen verfügen über Ideen und grosses Potenzial.»
Für ihren Traum vom Schreiben liess sie sich nach 19 Jahre Ehe im Irak scheiden. Erst nach der Trennung konnte sie als Journalistin und Drehbuchautorin für das irakische nationale Fernsehen arbeiten. «Das war zu Beginn schwer.
Plötzlich war ich draussen, in der echten Welt.» 2016 entschied sie sich zur Flucht, weil sie politisch bedroht wurde und um ihr Leben fürchtete. Als sie von der Flucht erzählt, wird ihre Stimme leiser. Die Frau, die nichts zu erschüttern erscheint, zeigt plötzlich ihre Verletzlichkeit.
Licht ins Dunkel bringen
Die ersten Jahre in der Schweiz waren schwierig für al-Abbas. «Ich wusste nicht, ob und wann ich meine Kinder wiedersehen werde», sagt sie. Und beschreibt jene Zeit als eine «totale Finsternis», in der sie immer wieder von fremden Menschen unterstützt worden sei. Die Drehbuchautorin vergleicht diese Menschen mit Lichtern, die ihr den Weg in der Dunkelheit ausleuchteten und ihr so halfen, sich zurechtzufinden.
Nach drei Jahren kam endlich der Entscheid: Die Schweiz gewährte ihren Kindern ein humanitäres Visum. «Diesen Moment, als ich meine Tochter und meinen Sohn wieder in den Armen hielt, werde ich nie vergessen.» Auf den Asylentscheid wartet die Familie noch.
Sich ein Leben in der Fremde neu aufzubauen, sei schwer. Ebenso, im alten Beruf Fuss zu fassen. Zuerst müsse die Sprache perfektioniert werden. «Aber immerhin ist es hier alleine als Frau möglich; was ich hier mache, wäre in meiner Heimat undenkbar.»
Al-Abbas erzählt, wie Freundinnen im Irak auf ihre journalistischen Beiträge reagieren. Etwa auf ihr Video, in dem sie sich auf Arabisch an Frauen richtet und über Freiheit und Respekt in Beziehungen spricht. «Sie antworteten mir per Whatsapp, dass ich nun am richtigen Ort lebte.»