Lässt Aurora Neuhäusler die Peitsche – romanisch giaischla – sausen, dann tönt es dermassen laut, als hätte sie einen Knallfrosch gezündet. Die 15-Jährige aus Scuol im Unterengadin wirft den Lederriemen einhändig über den Rücken, zieht ihn in einem Schwung nach vorn und erzeugt damit den Knall, mit dem die Kinder im Engadin und in der Val Müstair den Winter vertreiben.
An der Technik feilen
Ein Bewegungsablauf, der einstudiert sein will. Aurora hat den Peitschenschwung von ihrem Vater gelernt. Sie übt den ganzen Februar, denn nur dann ist es erlaubt. Insgesamt zwei Stunden täglich, etwa in der Schulpause auf dem Pausenplatz. Oder vor dem Haus ihres Vaters, wo sich im Hintergrund die Berge des Unterengadins erheben. Hier steht Aurora dann und feilt an der Rotation der Peitsche.
Das knapp 160 Zentimeter grosse Mädchen mit den blonden langen Haaren und der runden Brille legt beim Peitschenwurf eine Beherztheit an den Tag, die man ihm auf den ersten Blick nicht zutrauen würde. Manchmal schmerze ihr schon die Schulter, sagt sie, denn was so leicht aussieht, ist anstrengend. Aurora trainiert für den Chalandamarz. Immer am 1. März findet in Scuol, wo Aurora lebt und zur Schule geht, der «Cortegi» statt, der Umzug also durch den Ort. 250 Kinder und Jugendliche vertreiben dann mit Peitschenknall und Glockengeläut den Winter.