Die Quelle des Friedens weitergeben

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Die Pfarrerin Nelli Domahidi hat selbst erfahren, was es bedeutet, sich fremd zu fühlen, und wie wichtig es ist, gut aufgenommen zu werden. 

Um den Abendmahlstisch in der Kapelle der Helferei beim Grossmünster in Zürich hat sich eine Gruppe von Erwachsenen im Kreis versammelt. Am Tisch steht Pfarrerin Nelli Domahidi im elegant-plissierten Talar und leitet die Abendmahlsfeier. Sie spricht ungarisch. Andächtig spendet sie den Segen. Ihre Sprache klingt melodisch, präzis und gleichzeitig sehr fremdartig. 

Die 52-Jährige ist eine von zwei Pfarrerinnen beim Verband der ungarisch-protestantischen Kirchgemeinden der Schweiz, zu dem sechs Gemeinden gehören: Zürich, St. Gallen, Baden, Bern, Basel und Luzern. Alle entstanden nach dem durch die Sowjetunion blutig niedergeschlagenen Volksaufstand von 1956, als viele Ungarinnen und Ungarn in die Schweiz flüchteten. 

Die Lücke als Chance 

Heute sind die Kirchgemeinden eher klein, und es mangelt an Pfarrpersonen. Domahidi sieht darin auch Vorteile: «Die Mitglieder müssen mit anpacken, dadurch bleiben die Gemeinden lebendig.» Beim geselligen Beisammensein nach dem Gottesdienst ist die Atmosphäre familiär, Kinder spielen fröhlich zwischen den Säulen der Kapelle. 

Aber beten, ehrlich beten, kann ich nur auf Ungarisch.

Domahidi ist in Ungarn als Pfarrerstochter aufgewachsen, wollte als Teenager aber keinesfalls in die Fussstapfen des Vaters treten. 

Sie habe sich ein normales Leben gewünscht, ohne ständig ein Vorbild sein zu müssen. «Gleichzeitig interessierte mich nichts so sehr wie Gott und die Bibel.» So ist sie schliesslich doch noch Pfarrerin geworden: um jene Liebe weitergeben zu können, die sie von Jesus empfange und von ihm gelernt habe. «Ich liebe die Menschen sehr und wünsche mir, dass sie die Quelle des inneren Friedens kennenlernen.» Für sie sei das Evangelium diese Quelle.

Sie lacht jetzt und erzählt lebhaft. Sie wirkt aber spürbar angespannt, wenn sie nicht auf Anhieb das richtige deutsche Wort findet. Nelli Domahidi lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern im Teenageralter erst seit zehn Jahren in der Schweiz. Ihr Deutsch ist gut, ihren eigenen Ansprüchen genügt es jedoch nicht. 

Ein neues Feld pflügen 

Auszuwandern hatte sie nicht vor. Doch ihr Mann Árpád Ferencz konnte sich an der theologischen Fakultät in Debrecen beruflich nicht in der Art weiterentwickeln, wie er es sich erhofft hatte, sein Wirkungsbereich wurde immer enger. In dieser Situation habe sie Gottes Botschaft in den Worten des Propheten Jeremia erreicht: «Pflügt euch einen neuen Acker, und sät nicht unter Dornen» (Jer 4,3). 

Das Ehepaar entschied, Ungarn zu verlassen. Ferencz wurde Pfarrer der reformierten Kirche in der kleinen Aargauer Gemeinde Auenstein. Er hatte in der Schweiz studiert, promoviert und habilitiert, sprach auch Deutsch, Nelli Domahidi und die Kinder hingegen kein einziges Wort. 

In Auenstein wurde die Familie herzlich aufgenommen und fand ein neues Zuhause, bevor sie vor drei Jahren nach Zofingen zog. Die Kinder reden längst Dialekt, und Domahidi arbeitet zwei Tage pro Woche bei «Spiis und Gwand», einem Secondhandshop mit Lebensmittelabgabe der reformierten Kirche Oftringen. Die Teamsitzungen, an denen Dialekt gesprochen wird, seien herausfordernd, die Arbeit erfülle sie aber. «Es kommen viele Menschen zu uns, die kaum Deutsch sprechen. Ich kann ihnen auf Augenhöhe begegnen, weil ich selbst erfahren habe, wie sich fremd sein anfühlt.» 

Als Pfarrerin und Seelsorgerin der ungarischen Kirchgemeinden ermutigt Domahidi ihre Landsleute, sich auch einer lokalen Kirchgemeinde anzuschliessen. So falle die Integration in der neuen Heimat leichter. 

Für sie spielt es inzwischen keine Rolle mehr, in welcher Sprache sie eine Predigt hört. «Aber beten, ehrlich beten, kann ich nur auf Ungarisch.» Deshalb halte sie die ungarischen Gemeinden für bedeutend: um in der Muttersprache beten zu können.