Der Pflanzenversteher mit Bodenhaftung

Wissenschaft

Haben Maispflanzen eine «Nase»? Das beschäftigt den Pflanzenforscher Matthias Erb. Er untersucht Moleküle, rettet Topfpflanzen und bringt mehr Grün in die Stadt und die Welt.

Wenn Augen zu leuchten scheinen, kann es immer gut sein, dass einfach das Licht diesen Eindruck schafft. So ist es auch im Untergeschoss des Forschungsgewächshauses der Uni Bern. Hier steht im sonst unbeleuchteten Raum in grell-hellem Licht ein Konstrukt wie aus einer Science-Fiction: hundert Maispflänzchen je unter einem Glaszylinder. Diverse Schläuche, Verbindungsstücke, ein grosser Metallrahmen und ein quaderförmiges Gerät am Boden.

Im Halbdunkel direkt daneben steht Matthias Erb und sagt: «Es sind wunderbare Momente, wenn man Neues sieht.» Seine Begeisterung ist fast körperlich wahrnehmbar, wenn er von der Maschine erzählt, die sein Team zusammen mit Industriepartnern entwickelt hat. Das quaderförmige Massenspektrometer fährt computergesteuert den Boden entlang und analysiert nacheinander die Luft in den Glaszylindern.

Meine Aufgabe ist es, Wissen und Gutes zu schaffen. Dabei interessieren mich die Gräben, die Grenzflächen und ihre Verbindungen.

Erst damit konnte Erb mit angemessenem Aufwand analysieren, wie welche Duftstoffe wirken. Oder wie die Pflanzen sich selbst vor Angreifern warnen – wie etwa Insekten. Und schon wartet die nächste Herausforderung auf ihn: «Wir wollen diese Messungen draussen im Feld vornehmen können.»

Steile akademische Karriere

Der 41-Jährige ist auch dort in seinem Element. Der Bergbauernsohn aus dem Simmental hat eine steile Karriere hinter sich: Nach dem Gymnasium folgten Agrarwissenschaften an der ETH Zürich, ein Master in London, weiter ein Doktortitel in Neuenburg und 2014 die Berufung nach Bern als Assistenzprofessor – da war der Vater von zwei Kindern erst 32 Jahre alt. 2017 wurde er ausserordentlicher, seit diesem Jahr ist er ordentlicher Professor am Institut für Pflanzenwissenschaften.

Trotzdem ist Erb am Boden geblieben. Den Betrieb seiner Eltern bei Boltigen hat er vor Jahren übernommen. Die zehn Hektaren ohne Tiere bewirtschaftet er heute mithilfe seiner Frau und Eltern extensiv. Die Familie verkauft Heu an umliegende Betriebe, pflegt Biodiversitäts- und Naturschutzflächen. «Meine Aufgabe ist es, Wissen und Gutes zu schaffen. Dabei interessieren mich die Gräben, die Grenzflächen und ihre Verbindungen.»

Retter der Topfpflanzen

Erb will deshalb nicht nur Grundlagenforschung betreiben, sondern die Erkenntnisse auch unter die Leute bringen. «Ich hatte ein verbreitetes Problem: meine sterbenden Balkonpflanzen. Also dachte ich: Das muss doch mit meinem Hintergrund lösbar sein.» 

Den universellen Fragen zur Existenz Raum zu geben, finde ich äusserst bereichernd. Dabei spüre ich auch grossen Respekt.

Er setzte sich deshalb mit einem Ingenieur, einem Informatiker und einem Fachmann für Start-ups zusammen und gründete «Boum». Das Start-up-Unternehmen bietet ein Topfsystem an mit spezieller Erde – aus Nebenprodukten der Land- und der Forstwirtschaft –, einem Wassertank, ausgerüstet mit einer Solarzelle, diskret verschlauchten Pflanzgefässen und einer App. Alle zwei bis drei Wochen Wasser in den Tank füllen ist die einzige Tätigkeit, die nötig sein soll.

«Ich denke, das Projekt bringt viel für die Natur und die Menschen. In einigen Jahren soll es selbsttragend sein und die Welt ein kleines Stück besser machen», sagt Matthias Erb. Nach dem Betrieb mit Prototypen in den letzten zwei Jahren sei das System jetzt auf dem Markt.

Es sei ein Herzensprojekt für ihn, weil er so etwas bauen könne für die Menschen. «Das führt zu einem Grundoptimismus für die Zukunft. Ich wünsche mir, dass die Jungen diesen Optimismus finden und sich ihres Potenzials und ihrer Kraft bewusst werden.»

Mehr Grün in der Stadt

Ein ähnliches Projekt ist in der Stadt Bern gerade angelaufen. Es soll zum Begrünen animieren und wurde am 6. Mai lanciert. In der Postgasse bekamen Interessierte Töpfe, Erde und Pflanzen. «Die Leute waren so zufrieden! Wir werden das Wachsen wissenschaftlich begleiten und nach dieser Saison schauen, wie es weitergeht», sagt der Professor.

Der Forscher und Bauer ist sich bewusst, «dass es auch eine Welt gibt ausserhalb des Kastens, in dem ich mich als Wissenschaftler bewege». Wie sein Grossonkel, der Pfarrer war, fühle er sich manchmal einfach getragen in besonderen Momenten in der Natur. Schliesslich hätten die Menschen keine Antworten auf universelle Fragen zur Existenz, sagt Erb. «Und diesen Fragen Raum zu geben, finde ich äusserst bereichernd. Dabei spüre ich auch grossen Respekt.»