Recherche 01. April 2022, von Nicola Mohler, Felix Reich

Es ist ausgegockelt

Gleichberechtigung

Aktivistinnen und Aktivisten wollen die Hälfte der Hähne auf den Kirchtürmen durch Hennen ersetzen. Die Präsidentin der Evangelischen Frauen Schweiz kann dies nachvollziehen.

Der «Grüne Güggel» sei ein «Greenwashing toxischer Männlichkeit», kritisiert die Plattform ausgegockelt.ch in einem internen Arbeitspapier, das «reformiert.» vorliegt. Der lose Verbund aus Pfarrerinnen und Pfarrern sowie in der Kirche engagierten Freiwilligen macht sich für die «sichtbare Gleichberechtigung» in der Kirche stark.

Eine zentrale Forderung lautet deshalb, die Hälfte der Hähne auf den Kirchtürmen durch Hennen zu ersetzen. Das Umweltlabel «Grüner Güggel» soll umbenannt und künftig «Grünes Ei» genannt werden. «Das ist genderneutral und darüber hinaus ökumenisch anschlussfähig, denn der Hahn ist ein reformiertes Symbol», sagt ein Pfarrer, der namentlich nicht genannt sein will. Denn eigentlich wollte ausgegockelt.ch erst an Ostern an die Öffentlichkeit treten.

Erste Henne auf dem Kirchturm montiert

Einige Mitglieder wollten aber nicht so lange warten und montierten auf der Friedenskirche Olten bereits in der Nacht auf den 1. April die erste Henne. Allerdings brauchten sie dafür gar keinen Hahn zu ersetzen, denn die Turmspitze ziert ein sternartiges Gebilde. Die Aktivistinnen und Aktivisten montierten den Stern auch gar nicht ab, sondern befestigten die selbst fabrizierte Henne daran. Wer die vermutlich aus Holz bestehende, mit einem leichten Metall überzogene Skulptur geschaffen hat, ist nicht bekannt.

Ebenso im Dunkeln liegt, wer die Aktion durchgeführt hat. Die Präsidentin der Evangelischen Frauen Schweiz, Gabriela Allemann, die in Olten wohnt, weist auf Anfrage von «reformiert.» jeden Verdacht von sich. Allerdings verhehlt sie ihre Sympathie für die Postulate von ausgegockelt.ch nicht. «Ich bin nicht Mitglied, aber ich kann die Forderung nach einer reformierten Kirche, die das Anliegen der Gleichberechtigung auch auf symbolischer Ebene sichtbar macht, nachvollziehen.» Hühner auf den Kirchtürmen seien ein interessanter Gedankenanstoss, ob sie ihrem Anspruch, «visualisierte Befreiungsgeschichte» zu sein, gerecht würden, werde sich aber noch zeigen müssen.

Der Hahn im Christentum

Der Hahn auf den reformierten Kirchtürmern gilt als Mahnmal für Aufrichtigkeit. Die Interpretation geht zurück auf die Geschichte im Neuen Testament, in der Jesus Petrus prophezeit:  «Wahrlich, ich sage dir, dass du in dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, mich dreimal verleugnen wirst.» (Matthäus 26,34). Jesus hatte recht mit seiner Prophezeiung: Bevor der Hahn krähte, stritt Petrus dreimal ab, dass er zu Jesus gehörte.

Gabriela Allemann findet aber nicht nur theologische Gründe für die Aktion. «Die aktuelle gesellschaftliche Debatte rund um die Gleichberechtigung ist zum Glück sehr lebendig.» Die 50 Jahre-Feierlichkeiten zum Frauenstimmrecht oder die «Halbe Halbe»-Initiative, die die Hälfte der politischen Ämter mit Frauen besetzen will, hätten vielleicht zu dieser unkonventionellen Aktion angeregt.

Für Gabriela Allemann ist es kein Zufall, dass der Ruf nach Hühnern auf dem Kirchturm gerade in der Osterzeit laut wird. «Das Huhn ist die wahre Heldin des Osterfests.» Die Ostereier symbolisieren im Christentum die Auferstehung und das Leben. «Die Aktion kann auch als Hinweis auf die Wichtigkeit der Care-Arbeit verstanden werden. Sie stellt das Huhn ins Zentrum, das Eier ausbrütet und die Küken grosszieht.»

Keine Anzeige eingegangen

Ob die Henne auf der Oltener Friedenskirche noch vor Ostern abmontiert wird, ist noch unklar. Der Kirchgemeinderat wird am 1. April in einer dringlichen Sitzung über das weitere Vorgehen entscheiden und lehnt eine Stellungnahme ab. Nur so viel: Die Turmspitze sei vermutlich nicht beschädigt, womit «eine geordnete Wiederherstellung des Kirchturms möglich wäre». Laut einem Polizeisprecher ist bisher keine Anzeige eingegangen.

Dass das Huhn montiert werden konnte, ohne Aufsehen zu erregen, deutet darauf hin, dass die Aktivistinnen und Aktivisten über einen Schlüssel verfügten und sich von innen Zugang zur Turmspitze verschaffen konnten. Das überdimensionierte Huhn wurde offenbar in Stücken durch den engen Turm getragen und dann zusammengesetzt.