«Was gibt es denn hier zu trinken?», fragt ein Festivalbesucher. Samuel Hug antwortet: «Wasser und gute Gespräche.» Da wendet sich der junge Mann ab und meint, er hätte doch lieber ein alkoholisches Getränk.
Der reformierte Pfarrer Hug steht vor der «AnsprechBar». Eine Bar, die sich äusserlich nicht von den anderen Ständen am Greenfield-Festival in Interlaken unterscheidet: Auf der Zeltplache steht in alter Schrift «In Stimmung oder verstimmt? Bei uns erhalten Festivalbesucher eine Stimme!» Daneben tanzen Skelette den Totentanz. Dass es sich hier um einen Ort und ein Angebot der kirchlichen Seelsorge handelt, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar.
Hin zu den Menschen
Zum ersten Mal wird am oberländischen Rock-, Punk- und Metalfestival eine ökumenische Festivalseelsorge angeboten. Ein 18-köpfiges Team aus Pfarrpersonen, Sozialdiakonen, Sozialarbeitern und geschulten Laien steht während drei Tagen rund um die Uhr im Einsatz. Erkennbar sind sie an ihrem schwarzen T-Shirt mit dem Aufdruck «Festivalseelsorge».
Hinter dem Angebot steht der Verein Metalchurch, dessen treibende Kraft Hug ist. Der Pfarrer in Niederbipp hat ein von den reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn finanziertes Teilzeitpensum in der Metalchurch – eine auf eine Subkultur ausgerichtete christliche Gemeinde.
Hug ist überzeugt, die Kirche müsse sich nocht stärker zu den Menschen hin bewegen. Deshalb ist der Metal-Fan glücklich, am Festival als Repräsentant der Kirche mit der «AnsprechBar» präsent zu sein. Die Reaktionen seien positiv, sagt Hug. Viele Besucherinnen und Besucher würden sich erstaunt zeigen, dass die Kirche in diese Rolle schlüpfen könne.
Wenn ein Vakuum entsteht
Vor allem in den Abendstunden suchten Festivalbesucher die «AnsprechBar» auf. «Je später die Abendstunde, desto tiefgründiger die Gespräche», sagt Hug. Der steigende Alkoholpegel sorge für eine lockere Zunge. «Viele Menschen fühlen sich einsam – auch an einem Festival, wo Unterhaltung und gute Laune im Zentrum stehen.»
Doch die Seelsorgerinnen und Seelsorger warten nicht nur auf Passanten an der «AnsprechBar», sie mischen sich auch unter das Publikum. Zu zweit sind sie auf dem Festivalgelände unterwegs, suchen den Kontakt zu den Menschen. «Wichtig ist, wir missionieren nicht. Sondern bieten jenen Hilfe an, die sie nötig haben», sagt Hug.
Hinter die Fassade blicken
Unter den fast ausschliesslich in Schwarz gekleidetem Menschen fällt Schwester Veronika Ebnöther in ihrem blauen Habit und Kopftuch schnell auf. Die geweihte Jungfrau aus dem Graubünden ist kurzfristig als Seelsorgerin am Festival eingesprungen. «Die Menschen hier werden in Beschlag genommen von der lauten Musik», sagt die ansonsten in Stille lebende 44-Jährige. «Wenn die Musik aufhört, entsteht ein Vakuum.» Das seien oft die Momente, in denen kurze wie auch längere Gespräche über Philosophie, Liebe, Gott oder den Sinn des Lebens zustande kämen. «Wir blicken hinter die menschliche Fassade.»
Schwester Veronikas Präsenz löst bei einigen Besuchern Irritation, aber auch Neugier aus. So auch beim 22-jährigen Dominik Hunziker. «Eine Nonne habe ich hier nun wirklich nicht erwartet», sagt der Festivalbesucher nach einem rund 20-minütigen Austausch mit Schwester Veronika. Aus der Frage, was sie hier mache, entstand ein anregendes Gespräch. Eines der über 300 Gespräche, das die Seelsorger während den drei Tagen am Greenfield-Festival führten.