Recherche 23. Februar 2022, von Anouk Holthuizen

Männer unter sich – das gibt es in vielen Kirchgemeinden

Sozialdiakonie

In den Aargauer Kirchgemeinden gibt es zahlreiche Männergruppen. In Baden sind 14 Männer seit 15 Jahren gemeinsam unterwegs. Kleine Chronik einer Exkursion ins Welsche.

Mit listigem Blick schaut Friedrich Dürrenmatt auf die ankommende Männergruppe aus Baden. Es ist ein hölzerner Dürrenmatt, mit seinen Pausbacken und seiner markanten Hornbrille hat ein Holzbildhauer ihn ziemlich gut getroffen. Er hängt an der Säule der Brasserie Le Cardinal in Neuenburg. Denn hier wollen sich 14 Männer auf die Spuren des Schweizer Schriftstellers begeben. Vergnügt schauen sich die Herren im fortgeschrittenen Alter in der Brasserie um, die eine Ambiance verströmt, als wäre man in Paris. Bunt leuchten die mit Paradiesvögeln und -flora bemalten Fliesen.  

«Nur wenige Stunden entfernt, und schon glaubt man in Frankreich zu sein. Das ist das Schöne in der Schweiz», sagt einer ganz vergnügt. Gläser klirren, beschwingt stossen die Männer auf zwei Ausflugstage an. Seit 15 Jahren treffen sie sich immer wieder, diskutieren und organisieren in den reformierten Kirchen rings um Baden Veranstaltungen zu aktuellen Themen. Jährlich machen sie einen Ausflug. Das Ziel der Exkursion umschreibt Joachim Hochueli so: «Bei uns hat es Platz für Geselligkeit und für ganz viel Tiefgang.»

Besuch beim Provokateur

Für Tiefgang sorgt dieses Mal eben Friedrich Dürrenmatt. Im Centre Dürrenmatt Neuchâtel erklärt ein Guide, warum das Image des Bonvivants so vorzüglich zum Literaten passt: «Zwei Lastwagen teuren Bordeaux hat er sich extra aus Frankreich anliefern lassen.» Ein Bild im Museum zeigt Dürrenmatt, wie er dem Fotografen eine Magnum-Flasche entgegenstreckt. 

In der Museumsbibliothek erklärt dann der kunstbeflissene Führer, dass der Pfarrerssohn aus dem Emmental als Atheist nie davon abliess, sich mit christlichen Themen zu beschäftigen. Unten im vom Stararchitekten Mario Botta konzipierten Ausstellungsraum ziehen die Männer an den Bildern vorbei, die bildnerisch Motiven wie der Kreuzigung Christi, dem Turmbau von Babel oder Engeln nachgehen. 

«Das ist mir gar nicht klar gewesen, dass Dürrenmatt auch ein Maler war», sagt einer. Ein anderer staunt über dessen Produktivität. Ein Dritter zeigt sich irritiert über dessen ätzende Gesellschaftskritik: «Das passt doch nicht zu Bordeaux und seiner prächtigen Villa.»

Der Vorschlag, die Gruppe für Ehefrauen zu öffnen, löst ablehnendes Gemurmel aus.

Andere Lebensstile oder religiöse und weltanschauliche Ansichten zu akzeptieren, gehört zur abendlichen Diskussionsrunde im Seminarraum des Gästehauses Montmirail in La Tène, das von einer evangelischen Kommunität geführt wird. Bevor die Diskussion zum Thema Toleranz losgeht, zeigen die Senioren – viele von ihnen waren früher im Kirchenchor oder in der Kirchenpflege –, wie inbrünstig sie ihre Stimmorgane noch erklingen lassen können. Vor allem, wenn sie alte Kirchenlieder wie «Geh aus, mein Herz, und suche Freud» intonieren. Noch öfter in den zwei Tagen werden die Männer selbstbewusst Lieder anstimmen.  

Wie tolerant soll man sein?

Dann beginnt der Ernst des Abends. Kurt Düsel hat sich vorbereitet, um den Toleranzbegriff auszuloten. «Toleranz ist der Schlüsselbegriff für ein friedliches Zusammenleben», sagt er. «Was aber machen wir mit den Intoleranten?», wirft einer ein. «Was machen wir mit den Leuten, die uns Geimpfte als Covidioten beschimpfen?» Das polarisierende Thema lässt die Emotionen hochgehen und findet schliesslich einen diplomatischen Ausweg: «Wir müssen nicht auf jedes Gespräch mit Corona-Leugnern einsteigen.»  

Als theologischer Begleiter der Gruppe erinnert Pfarrer Res Peter wiederum daran: Mit der von der Reformation eingeklagten Gewissensfreiheit hätte letztlich das Wort Toleranz seinen Eingang in den heutigen Wortschatz gefunden. Natürlich ist dem kirchenhistorisch geschulten Theologen bewusst, wie viele Stolpersteine auf dem Weg lagen, um die Glaubensfreiheit aller zu erlangen. Peter erinnert daher an die verfolgten Täufer, an den thüringischen Fritz Erbe, der in einem Kellerverlies auf der Wartburg seinem Tod entgegensiechte. Ausgerechnet dort, wo Luther einst vor den kaiserlichen Häschern Zuflucht fand, starb der Täufer für seine Glaubensüberzeugungen.  

Das Gespräch über Toleranz passt gut zum edlen Landsitz, in dem die Männergruppe verweilt. Hier befand sich während Jahrhunderten ein Mädcheninternat, das Herrnhuter führten. Die böhmischen Brüder sing eng mit der Glaubensgeschichte Europas verflochten. Verfolgung gehörte lange zur DNA dieser protestantischen Reformbewegung.   

15 Mal in Montmirail

Seit ihrer Gründung im Jahr 2007 führt der Jahresausflug der kirch-lichen Männergruppe aus der Region Baden nach Montmirail. Es ist ein verschworener Haufen, mit einem grossen Koffer voll von Erinnerungen und an gemeinsamen Erlebnissen. Manche sind bereits 15 Jahre dabei, wissen von den biografischen Hochs und Tiefs des anderen. Über Gesundheit, Ferien, Hobbys und Partnerschaft wird sprochen. Und auch über den Streit beim letzten Familienfest, als der ungeimpfte Sohn bei der Diskussion um Corona-Massnahmen ziemlich laut wurde.  

Am zweiten Tag gelingt es der Fotografin Franziska Frutiger, im Schlosspark ein bisschen das Kind aus den Herren herauszukitzeln. Vor der Kamera lassen sie übermütig die welken Blätter, die den Boden unter den knorrigen Baumriesen bedecken, durch die Luft wirbeln. Georges Gremlich, der tags zuvor noch von der Impfung geschwächt war, setzt sich jetzt vergnügt auf die Schaukel. 

Wie soll es weitergehen?

Vorher hatten die Männer im etwas nüchternen Seminarraum über die Zukunft der Gruppe debattiert. «Wie weiter mit der Männergruppe?», stand mit grossen Lettern auf den Flipchart geschrieben. Ein Satz war in der angeregten Diskussion oft zu hören: «Wir werden nicht mehr jünger.» Vor 15 Jahren starteten sie als Jungrentner. Nun sei Verjüngung dringend notwendig, «aber klar bleiben wir bei 60+». 

Immerhin hat sich Peter Siegen-thaler als Jungrentner mit auf die Reise begeben. Das Programm sagte ihm zu. Er möchte bleiben und seine Fühler ausstrecken, um weitere jüngere Mitstreiter zu gewinnen. Wie gehabt soll es Veranstaltungen zu gesellschaftspolitischen und religiösen Themen geben und natürlich den Jahresausflug. Nächstes Jahr will man indes eine neue Destination im Wallis anpeilen. Aber der Reformvorschlag, die Gruppe für Ehefrauen zu öffnen, löst ablehnendes Gemurmel aus und signalisiert: Die Männergruppe soll eine Männergruppe bleiben.

​Vom Wandern bis zum Wurstessen

Männergruppen gibt es im Aargau unterm reformierten Kirchendach zuhauf. «Typisch reformiert ist es»,so Kerstin Bonk, die Fachstellenleiterin Frauen, Männer, Gender der Aargauer Landeskirche, dass sich die Männer in den Ortsgemeinden selbstständig mit ganz unterschiedlichen Zielsetzungen organisierten.  

Wer einen Augenschein auf den Websites der Kirchgemeinden nimmt, wird überrascht sein über die weit gespannte Angebots-palette. Da wird gewandert, über Politik und Kirche diskutiert, Bier gebraut oder sich mit Büchern auseinandergesetzt. 

Sehr beliebt ist der maskuline Kulinarik-Klassiker: das Grillieren. Einen ganz besonderen Anlass rund um Würste ist die «Genussrunde zum Feierabend – nur für Männer», die im März in Wettingen stattfindet. Dabei wird nebst Fleisch noch ein Stück Reformationsgeschichte in die Wurst verpackt. Denn just vor 500 Jahren sorgte der Fastenbruch in der Zürcher Druckerei Froschauer für einen reformatorischen Paukenschlag. Die religiösen und geschichtlichen Hintergründe zu diesem provokativen Essen wird
der Historiker Patrick Zehnder referieren. Das Mann-Sein in der Gegenwart stellt wiederum beim Männer-Apé-ro Baden-Ennetbaden Markus Theunert von der Organisation Männer.ch auf den Prüfstand. 

– Genussrunde. 9. März, 19 Uhr, KGH Wettingen, Anmeldung: 056 437 30 52

– Mann-Sein. 26. März, 9.30 Uhr, ref. Kirchenzentrum, Nussbaumen