«Gott ist ewig, ich muss es nicht sein»

Kurt Marti

Er fehlt, der Theologe, Dichter und Pfarrer Kurt Marti. Der kritische Gläubige ist 96-jährig gestorben und hinterlässt viel mehr als die «rosa loui».

Wenn einer wie Kurt Marti stirbt, hallen die Nachrufe durchs Land wie unzählige Kirchenglocken. Dieser Vielklang lässt ahnen: Da ist einer gegangen, der vielen Menschen etwas bedeutet hat, als Freund, als Verbündeter, als Theologe, Pfarrer oder Schriftsteller. Und als Chronist seiner Zeit, der wie kaum ein anderer Stellung bezog: politisch radikal, mit unverbrauchten Worten, immer der Bibel verpflichtet. «Seine hellwache Zeitgenossenschaft hat ihn 1972 die Professur an der Theologischen Fakultät gekostet», meint Magdalene Frettlöh, Professorin für Systematische Theologie an der Universität Bern. Sie ist begeistert von Martis leidenschaftlicher Wachsamkeit für das Tagesgeschehen. Und von seinem politischen Engagement, das immer theologisch begründet war. «Diese Verbindung ist selten: der Tradition treu bleiben und sie neu interpretieren, gleichzeitig auf Notstände hinweisen und alles daran setzen, sie zu ändern.»

Kritisch. Auch sprachlich sei er ihr bis heute ein Vorbild, sagt Frettlöh. In seinen Texten sei Gott im Diesseits spürbar. Die Worte: alltagstauglich und voller Sinnlichkeit und Erotik. Nur weil er zeitlebens den Fortschrittsglauben hinterfragte, sich dem Zeitgeist widersetzte und den technologischen Fortschritt an sich vorbeizehen liess, heisse das nicht, er habe sein Leben nicht genossen. «Er hielt nichts vom Vertrösten auf das Jenseits, von der persönlichen Auferstehung nach dem Tod. ‹Gott ist ewig, ich muss es nicht sein›, meinte er mal. Und dennoch gab es für ihn immer mehr als das eigene Wohlbefinden. Er war halt ein durch und durch politischer Mensch», betont Magdalene Frettlöh.

Schnörkellos. Ähnlich sieht das auch Angelika Boesch, ehemals Redaktorin beim katholischen «pfarrblatt». Viele Jahre traf sie Kurt Marti beim wöchentlichen «Märitkaffee». Eine freundschaftliche Runde, in der man auch über den Glauben und die Kirche sprach. «Mit ihm konnte man über vieles reden. Er unterstützte mich oft in der Auseinandersetzung mit den kirchlichen Obrigkeiten. Wir waren uns einig: Theologie darf nicht folgenlos bleiben. Ohne Politik ist Theologie sinnlos.» Boesch hatte Respekt vor dem ehemaligen Nydeggpfarrer, der auch in privaten Runden seine Meinung klar und ohne Schnörkel kundtat. «Er konnte schon ‹pägguhäärig› sein, etwas schroff und unnahbar. So hat er sich wohl auch unerwünschte Bewunderer vom Leib gehalten.»

Bescheiden. Klaus Bäumlin war einer der Nachfolger Martis als Pfarrer in der Berner Kirchgemeinde Nydegg. Er erinnert sich, dass die Kirche jeweils voll gewesen sei, wenn Kurt Marti am Sonntag Gottesdienst hatte. Die Leute reisten sogar aus dem Ausland an, um den Dichterpfarrer zu erleben. «Dabei spielte er als Pfarrer die Karte der künstlerischen Genialität keineswegs aus. Er pflegte ei-ne einfache, nüchterne Predigtsprache.» Vielleicht seien einige sogar etwas enttäuscht gewesen, wenn ihnen kein aufmüpfiger, experimentierfreudiger Kirchenevent geboten wurde. «Kurt war ein bescheidener Mann, der seine Aufgabe stets ernst genommen hat. Im Gottesdienst war er Pfarrer, nicht Dichter. Auch wenn ihm das seine zahlreichen politischen Gegner ab und zu unterstellten.»

Gläubig. Bis heute sei Marti einer der wichtigsten Anreger in dieser Gemeinde und weit darüber hinaus. «Einerseits als Theologe, aber natürlich auch durch sein dichterisches Werk», sagt Bäumlin. «Durch seine Mundartgedichte hat er viel Beachtung bekommen. Aber nicht nur deshalb ist er ein bedeutender Literat. Seine Texte sind auch auf unnachahmliche Art durchtränkt von seiner theologischen Haltung, von seinem tiefen Glauben.» Bäumlin empfindet die Lücke, die sein Freund und Kollege hinterlässt, schmerzlich. «Die Kombination von kritischer Auseinandersetzung mit der Institution Kirche und gleichzeitig sein unerschütterliches Vertrauen in Gott, das war einmalig. Und ist nicht einfach so zu ersetzen.»

Schonungslos. Kurt Marti hat mit seiner nüchternen, bescheidenen und unbeugsamen Art der Kirche ein Gesicht gegeben, Glaubwürdigkeit, Bedeutung. Er verkörperte eine Frömmigkeit, die ohne fromme Sprüche auskam. Schonungslos formulierte er seine Zweifel. Und davon hatte er viele. Bis ins hohe Alter. Und der Tod seiner Frau Hanni erschütterte ihn nachhaltig. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Weder, dass die geliebte Partnerin vor ihm stürbe, noch dass er sie derart vermissen würde. Die Jahre im Altersheim wurden lang und der Rückzug aus dem Leben immer deutlicher. Gott habe ihn wohl vergessen, sagte er zu einem seiner Besucher, Matthias Hui. «Er war nicht gerne alt», meint der Co-Redaktor der Zeitschrift «Neue Wege». «Aber auch in dieser Lebensphase brachte er seine Situation schonungslos auf den Punkt.» Und nicht nur seine eigene. «Kurt Marti war eine ausserordentliche Figur. Mit der Art, wie er die Welt, in der wir leben, beschrieb, wie er die Gesellschaft, die Politik, die Kirche gesehen hat, ermöglichte er mir und vielen anderen grosse Erkenntnisse.» Die Kommentare zum Zeitgeschehen aus seiner theologischen Warte seien immer relevant gewesen. Matthias Hui betont: «Ich bin froh, dass es ihn gegeben hat – und dass es ihn weiterhin in seinen Texten gibt.»