«Wir müssen die Politik jetzt aussen vor lassen»

Nothilfe

Der Kirchenrat des Nahen Ostens fordert die Aufhebung der Sanktionen in Syrien, damit Hilfe besser möglich ist. Ein armenisch-evangelischer Pfarrer in Aleppo unterstützt das.

Nach dem verheerenden Erdbeben vom 6. Februar im Grenzgebiet von Syrien und der Türkei sind gemäss dem armenisch-evangelischen Pfarrer Harout Selimian bis am 8. Februar in Aleppo über 900 Menschen gestorben und über 2300 verletzt. In den Räumen der Armenisch-Evangelischen Kirche und in einer Schule der Evangelischen Kirchen in Syrien und Libanon fanden bereits am Tag der ersten beiden starken Erdstösse in Aleppo 350 Menschen Unterschlupf. 

Bis Mittwochmittag, 8. Februar, waren es bereits über 450 Personen. «Die Bedürfnisse sind enorm», sagte Pfarrer Harout Selimian am Telefon gegenüber «reformiert.» Neben Essen, Hygieneartikel und Decken kümmere sich die Kirche um psychologische und moralische Unterstützung.

Über 1000 Menschen leben in den Strassen

«Die Menschen hier sind haben Angst, nach Hause zu gehen. Sie haben nun auch noch ihren Ort verloren, wo sie sich ausruhen können», beschreibt Selimian die Situation. Seit Montag zählte der Syrer acht Nachbeben. Immer wieder fielen Gebäude in sich zusammen oder Risse bilden sich in den Wänden. «Über 1000 Personen leben in den Strassen, weil wir in Aleppo keine sicheren Unterkünfte mehr haben.» 

Hilfswerk der Reformierten unterstützt Nothilfe

Gemäss einer Mitteilung des Heks vom 8. Februar konnte ein laufendes Projekt der armenisch-protestantischen Kirche erweitert werden. Erdbebenopfer würden mit Bargeld unterstützt, damit sie dringend benötigte Nahrungsmittel, Hygieneprodukte oder Decken kaufen können. In Aleppo erhielten besonders gefährdete Menschen kostenlosen Zugang zu medizinischer Versorgung. Auch in Latakia im Nordwesten des Landes stellt die Nationale Evangelische Synode in Syrien und Libanon Notunterkünfte für betroffene Familien bereit.

Das Hilfswerk unterstütze in den betroffenen Gebieten in Nordsyrien seit mehreren Jahren intern Vertriebene und andere verletzliche Gruppen über kirchliche Partnerorganisationen vor Ort. Diese hätten bereits wenige Stunden nach der Katastrophe erste Nothilfemassnahmen für Familien einleiten können, die durch das Erdbeben ihr Zuhause verloren hatten oder Angst haben, in ihre beschädigten Häuser zurückzukehren.

Zur Website von Heks zum Erdbeben in Syrien und der Türkei.

Kurz nach dem Erdbeben publizierte der Rat der Kirchen des Nahen Ostens eine Forderung, die Sanktionen in Syrien sofort aufzuheben. Wegen den EU-Sanktionen gegen Syrien sei die Erdbebenhilfe massiv erschwert. Harout Selimian unterstützt die Forderung. Die lokalen Hilfskräfte seien mit der Bergung der Opfer überfordert. «Wir müssen die Politik jetzt aussen vor lassen. Die Sanktionen müssen aufgehoben werden, weil wir die humanitäre Krise sonst nicht bewältigen können», sagt Selimian.

Wichtige Hilfe bei Minusgraden

In Aleppo herrschen momentan Minusgrade. Benzin und Strom sind rar. Selimian unterstreicht im Gespräch die Wichtigkeit der Hilfe von kirchlichen Partnerorganisationen. So ist etwa das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (Heks) in den betroffenen Gebieten in Nordsyrien seit mehreren Jahren aktiv (siehe Infobox unten).

«Syrerinnen und Syrer leben seit über zehn Jahren im Krieg. Zudem führten Dürre und steigende Preise jüngst zu einer Hungerskrise. Und jetzt noch dieses Erdbeben. Es scheint mir, als werde uns Menschen eine Krise nach der anderen auferlegt», sagt der armenisch-protestantische Pfarrer in Aleppo.