Ich sollte meine Meinung noch ändern. Von Anfang an wurde ich als Künstlerin integriert: Die Rezensionen zu meinem Romanerstling «Baba Rada. Das Leben ist vergänglich wie die Kopfhaare» stellten mich als Schweizer Autorin vor – drei Jahre bevor ich die Schweizer Staatsbürgerschaft erhielt. Kunst hält sich nicht mit bürokratischem Kleinkram auf, kennt keine Grenzen.
Ich war bei der Gründung der Schweizer Partei «Kunst + Politik» dabei: Im Gründungsakt nahm sie sich vor, Diskurse aus der Kunst in die Diskurse der Regierungsparteien zu integrieren und somit die Gesellschaft im Sinne einer ethischen Ästhetik zu prägen. Ein Schwergewicht ist die Partei nicht geworden, aber immerhin: Es gibt sie immer noch. Statt der von mir vermissten Gefühlseffusionen diese Beharrlichkeit der Künstlerinnen und Künstler im Schaffen, unterstützt auch von Institutionen, und ein doch recht treues Publikum. Vieles scheint hier möglich, und vieles hat Bestand.
Fünf Jahre lang, bis zur Pandemie, veranstaltete ich monatliche Benefiz-Lesungen für die Flüchtlinge auf Lesbos und Samos: Die Schreibenden traten unentgeltlich auf, niemand schlug je eine Einladung aus. Um die Lesungen bildete sich eine Szene, eine begeisterte, die Vorstellung kam auf, man könnte mit der Kunst vielleicht doch die Welt retten, im Kleinen, indem man trotzig Zeichen setzt, in der Art, dass am Anfang jedes künstlerischen Schaffens der Mensch steht – und die Menschlichkeit.