Recherche 02. Mai 2022, von Cornelia Krause

Ukraine-Krieg verschärft Hungersnöte in Afrika

Wirtschaft

Steigende Preise für Lebensmittel und Rohstoffe treffen jene, die ohnehin schon leiden, am härtesten. Über 300 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner sind vom Hunger bedroht.

Es waren drastische Worte, mit denen UNO-Generalsekretär António Guterres unlängst ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine forderte: Andernfalls drohe ein «Hurrikan des Hungers». Der Krieg, der auch in Europa Lebensmittel und Rohstoffe verteuert, verschärft in Entwicklungs- und Schwellenländern massiv die Versorgungskrisen. Schon jetzt habe mehr als jeder vierte Mensch in Afrika nicht genug zu essen, so das Internationale Komitee des Roten Kreuzes. Betroffen sind rund 346 Millionen Menschen, verglichen zu 286 Millionen im Vorjahr. Die Situation dürfte sich noch verschlimmern.

Auch Patrik Olsson von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) beschreibt die Lage als ernst. «Wir sehen eine aussergewöhnliche Krise, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr hatten», sagt der Deza-Programmbeauftragte für Ernährungssicherheit. «Die verschiedenen Effekte beginnen dabei erst noch zu spielen.» Vielfach hatte schon die Corona-Pandemie für steigende Preise gesorgt, weil Importe durch Lockdowns erschwert waren. Hinzu kommen in einzelnen Ländern wie etwa Somalia Dürreperioden oder kriegerische Auseinandersetzungen.

Prekäre Ausgangslage

Durch den Krieg in der Ukraine und damit verbundene Handelsbeschränkungen steigt der Ölpreis, und die Transporte werden teurer. Überdies ziehen die Preise für Grundnahrungsmittel wie Weizen und Sonnenblumenöl stark an – Produkte, die Russland und die Ukraine in grossem Stil exportieren. Doch nun fällt in der Ukraine die Ernte aus, in Russland bleibt sie vermehrt im eigenen Land. Um rund 40 Prozent verteuerte sich der Weizen seit Mitte Februar auf dem Weltmarkt. Auch Dünger aus Russland ist schwer zu transportieren, deshalb drohen Ernteausfälle in weiteren Ländern.

Der hohe Weizenpreis wird vor allem nordafrikanischen Ländern sowie dem Nahen und Mittleren Osten zum Verhängnis. Brot ist dort ein Grundnahrungsmittel. Weizen wird weitgehend importiert. Im Libanon habe sich Brot schon um 70 Prozent verteuert, sagt Olsson. Mit Sorge blickt er auch nach Ägypten, dem weltgrössten Weizenimporteur, Tunesien und dem Sudan. Und auch in den Jemen, wo die Bevölkerung schon aufgrund des jahrelangen Krieges kaum ausreichend versorgt ist. 2010 waren steigende Lebensmittelpreise Auslöser für den Arabischen Frühling in Tunesien. Olsson: «Die Preissteigerungen könnten erneut zu Unruhen führen.» Befürchtet wird eine Destabilisierung der Region. 

Inflation nimmt rasant zu

In weiteren Ländern ist vorab der gestiegene Ölpreis problematisch, der Transporte verteuert. Der von Krieg und Naturkatastrophen versehrte Südsudan hat eine Teuerungsrate von 25 Prozent. In Äthiopien verteuerten sich Nahrungsmittel im Februar um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.

Betroffen seien auch Kamerun und Länder Westafrikas wie Senegal, Burkina Faso und Niger, heisst es beim Basler Missionswerk Mission 21 und dem Hilfswerk der evangelischen Kirchen Schweiz (Heks). «Da, wo die Lage ohnehin prekär ist, führen Preissteigerungen zu mehr Hunger und Mangelernährung», sagt Tina Goethe, Heks-Co-Leiterin für Entwicklungspolitik. 

100 Millionen Dollar von den Vereinten Nationen

Die hohen Preise erschweren die Arbeit des UNO-Welternährungsprogramms und der Hilfsorganisationen, sie können mit ihren Geldern weniger bewirken. Teils passen sie die Strategien an. Mission 21 setzt in der Demokratischen Republik Kongo den Schwerpunkt der Nothilfe neu auf Mangelernährung und hilft Partnerorganisationen, die Kooperation mit der UNO zu suchen. «Wir verstärken auch die Bemühungen, dass besonders die Not in Afrika nicht vergessen geht», so Sprecher Christoph Rácz.

Die UNO stellt nun 100 Millionen Dollar für Nothilfe in mehreren afrikanischen Ländern bereit. Entscheidend sei jedoch ein schnelles Ende des Krieges in der Ukraine und die Wiederherstellung der Infrastruktur, sagt Olsson. Langfristig geht es um ein resistenteres Ernährungssystem: «Die Länder müssen vom Weltmarkt unabhängiger werden und regionaler produzieren», sagt Goethe.