Recherche 26. September 2022, von Hans Herrmann

Eine Scheidung führte zum Bruch mit Rom

Geschichte

Die Reformation war in England keine theologische Bewegung, sondern der Schachzug eines Königs mit katholischer Überzeugung.

Das Porträt aus der Hand des Hofmalers Hans Holbein zeigt einen prächtig gekleideten Fürsten mit wuchtigem Schädel, blondem Kurzbart und eigensinnigem Gesichtsausdruck: ein König und Kerl, ganz dafür geschaffen, es mit Tod und Teufel aufzunehmen. Und mit dem Papst, wenn es denn sein musste.

Nach der Auffassung von Heinrich VIII., den das Porträt zeigt, musste es sein. Der theologisch gebildete Spross des Hauses Tudor, der 1509 den englischen Königsthron bestieg, war ursprünglich überzeugter Katholik und verfasste 1521 eine Schrift gegen die Lehren des deutschen Reformators Martin Luther. Dafür wurde er vom Papst mit dem Titel «Verteidiger des Glaubens» gewürdigt. Diesen Titel trugen und tragen die gekrönten Häupter Englands bis heute, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

König Heinrich VIII. wurde dem Papst und der römisch-katholischen Kirche nämlich untreu. Den Mo-narchen trieben Sorgen um seine Nachfolge um: Seine erste Frau, Katharina von Aragon, hatte ihm keinen Thronfolger geboren, deshalb wollte er sich von ihr scheiden lassen. Der Papst weigerte sich jedoch, die Ehe zu annullieren. So betrieb der König ab 1527 die Gründung einer eigenen Kirche.

Rückkehr des Katholizismus

1534 wurde die Trennung vom Papst endgültig vollzogen, als das Unterhaus des Parlaments jene Akte genehmigte, die den König zum Oberhaupt der Kirche von England erkor. Der alte katholische Ritus blieb in der neuen anglikanischen Staatskirche weitgehend unangetastet.

1553 bis 1558 regierte Maria I., eine von Heinrichs Töchtern, als erste englische Königin überhaupt. Sie wollte das Land zum Katholizismus zurückführen und verfolgte die reformierten Gläubigen blutig. Nach ihrem Tod 1558 bestieg ihre Halbschwester Elisabeth I. den Thron. Die machtbewusste Königin stellte die Staatskirche ihres Vaters wieder instand. In ihrer Regierungszeit erhielt die anglikanische Kirche auch ein offizielles Glaubensbekenntnis.

Die Gründung einer protestantischen Kirche durch Heinrich VIII. entfaltete grosse politische Wirkung.

Die Angehörigen der Church of England werden als Anglikaner bezeichnet. Die Kirche gilt als protestantische Bischofskirche – im Gegensatz zur Kirche in Schottland, die 1560 als evangelisch-reformierte Kirche mit einer presbyterialen, somit stärker demokratisch legitimierten Leitungsstruktur entstand.

Der Einfluss der englischen Krone auf ihre Kirche hält sich heute in engen Grenzen. Die Königin oder der König ernennt in Abstimmung mit einer Kommission das geistliche Oberhaupt, den Erzbischof von Canterbury, sowie die übrigen Bischöfe. In innerkirchlichen Fragen entscheiden allein die theologischen Gremien und Amtsträger.

Protestantismus und Macht

Der Kirchengründer Heinrich VIII. hielt sich weniger zurück, er war es auch, der den Besitz der Klöster an Günstlinge verkaufte.

Sein Kraftakt entfaltete grosse politische Wirkung: «Protestantismus und Nationalismus gingen eine typische Legierung ein, die Englands Macht begründen half», kommentiert England-Kenner Thomas Kielinger in der «Welt» die englische Reformation.