Ist es nicht so, dass von der
Globalisierung längerfristig alle profitieren können – auch die Ärmsten?
In den USA wurde ich manchmal bei meinen
Vorträgen gefragt: Warum brauchen Sie das Wort «Gerechtigkeit» so oft? «Doesn’t
it smell a bit of communism?» (Schmeckt es nicht ein bisschen nach
Kommunismus?) Ich guckte den Fragenden jeweils an und sagte: Für mich schmeckt
es nach Gott. Gerechtigkeit ist ein Name Gottes.
Der Neoliberalismus duldet diese Gerechtigkeit
nicht. Fairness ist noch erlaubt: Fairness ist die Übersetzung von
Gerechtigkeit in die globalisierte Weltsprache. Diese Fairness bedeutet, dass
man sich hinunterbeugt zu den Ärmsten, um mit ihnen noch etwas nett zu sein.
Mehr nicht. Die Ärmsten haben keine Rechte mehr.
Erwarten Sie von den Kirchen mehr
Widerstand?
Es gibt ja eine ganze Reihe von Christinnen
und Christen, die anders denken und etwas unternehmen. Die Kirchenleitungen
hingegen sind sehr zurückhaltend, obwohl das Programm «Frieden, Gerechtigkeit
und Bewahrung der Schöpfung» weiterhin gültig ist.
Ihre Art, von Gott zu reden, hat Widerstand
hervorgerufen. Andererseits hat sie Generationen ein neues Reden über Gott
überhaupt erst möglich gemacht. Wie sind Sie darauf gekommen?
Zum Einen: Ich bin jemand, der versuchte, nach
Auschwitz theologisch zu denken. Nach Auschwitz konnte ich mir diesen
himmlischen Vater nicht mehr vorstellen, der alles so herrlich regieret und der
doch, sozusagen per Knopfdruck, die Züge, die ins Konzentrationslager fuhren,
hätte stoppen können.
Zum Anderen ist da der Besuch bei Martin Buber
anno 1960. Als ich mich als Theologin vorstellte, fragte Buber: «Theologie? Wie
machen Sie das? Es gibt doch keinen Logos von Gott. Es gibt eine Dentologie,
die Zahnheilkunde; es gibt viele Logien, haufenweise Wissenschaften – aber man
kann doch nicht auf diese Art von Gott reden.»
Dieses Erlebnis hat mich tief getroffen. Ich
habe in meinem Leben darauf zwei Antworten gefunden. Die eine ist die
jüdische: Wenn ich in einer Geschichte von Gott erzähle, teilt dies viel mehr
mit als jede philologische Schläue. Die andere ist die Theopoesie. Ich versuche,
Texte zu schreiben, in denen etwas davon sicht- und hörbar wird, was über den
Logos hinausgeht – also ein Suchen in der Transzendenz.