Die eigene Kultur pflegen, tut gut

Diakonie

Der von der Aargauer Landeskirche mitfinanzierte Verein Galaktika bietet geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern im Kirchgemeindehaus Lenzburg eine Art neue Heimat.

Seit vergangenem Frühling sind im Kirchgemeindehaus Lenzburg regelmässig Ukrainisch und Russisch zu hören. Ukrainische Eltern bringen am Freitagnachmittag ihre Kinder zum Spielen und Basteln hierher. Einmal im Monat, jeweils an einem Samstagabend, treffen sich ukrainische Jugendliche und junge Erwachsene im Jugendraum, kochen und essen zusammen, machen Spiele und plaudern. 

Bald wird auch das Gartenstück hinter dem Kirchgemeindehaus gepflegt – erneut von ukrainischen Geflüchteten. Diese hatten schon in der vergangenen Saison mit viel Engagement die Beete aufgeräumt und bepflanzt. Und auch in diesem Jahr werden erneut ukrainisch-russisch-deutsche Gottesdienste stattfinden, allerdings nicht in der Kirche, sondern nebenan im Kirchgemeindehaus. Das grosszügige Gebäude mit Garten liegt nur wenige Fussminuten neben dem Bahnhof – ideal für die Ukrainerinnen und Ukrainer, die aus dem ganzen Kanton anreisen. 

Unterstützung im Alltag
Dass die reformierte Kirchgemeinde Lenzburg immer mehr zu einer Art neuen Heimat für die ukrainische Community wird, hat mit dem Verein Galaktika und seiner Mitgründerin Anna Hemme-Unger zu tun. Kurz nach Ausbruch des Kriegs, als sie noch als Jugendarbeiterin in der aargauischen Kirchgemeinde Muri tätig war, lud die Russisch sprechende Hemme-Unger, Mutter eines Sohns im Teenageralter, zu zweisprachigen Friedensandachten ein. 

Und die Projektleiterin hat noch einiges mehr zu bieten: Hemme-Unger macht derzeit an der Uni Zürich die Quereinsteiger-Ausbildung in den Pfarrberuf. Einen Grossteil ihrer Zeit im Projekt Galaktika widmet sie Beratungen und Seelsorge. Immer wieder vermittelt die angehende Pfarrerin, die früher an der Börse tätig war, sich aber nach einem sinnvolleren Beruf sehnte, auch zwischen Jugendlichen und deren Eltern, sowie Sozialarbeiterinnen und -arbeiter und Lehrpersonen. 

Mitte 2023 entstand deshalb der gleichnamige Verein Galaktika. Er hatte zum Ziel, ukrainische Geflüchtete jeden Alters bei der Integration zu unterstützen, so Gesamtprojektleiterin Hemme-Unger. Das Augenmerk liegt auf den Schwerpunkten Sprachkenntnisse, Bildung und Beruf, soziale Integration sowie psychosoziale Gesundheit. Finanziell getragen wird Galaktika seit Beginn von der reformierten Kirche. Der Innovationsfonds der Zürcher Landeskirche sprach dem Projekt Galaktika 200 000 Franken zu. Und auch die Aargauer Landeskirche unterstützt das Projekt. Im Jahr 2025 mit einem Beitrag von 10 000 Franken – wie bereits im Vorjahr.

Schnell gewachsen 

In den Aargau zog Galaktika 2024, weil das Café Hirschli an den ukrainischen Anlässen aus allen Nähten platzte und viele Besucherinnen und Besucher aus dem Nachbarkanton kamen. Pfarrer Martin Domann, der als Brückenperson zwischen dem Programm und der Kirchgemeinde Lenzburg fungiert, ist beeindruckt, wie schnell die Kinder- und die Jugendgruppe gewachsen sind. Mittlerweile haben beide rund 20 Teilnehmende. Er sagt: «Wenn man bei uns ein Kinderprojekt startet, geht es Jahre, bis es so gross ist.» 

Der Pfarrer wünscht sich, dass sich die Ukrainerinnen und Ukrainer im Kirchgemeindehaus wohlfühlen. Am Kennenlernfest im vergangenen Juni, an welchem Kinder, Jugendliche und Erwachsene teilnahmen, sei viel Engagement spürbar gewesen, etwa beim Kochen oder Singen. «Man merkt, dass es ihnen guttut, ihre Kultur zu pflegen.» 

Bedürfnis nach Halt 

Um den Kontakt mit Schweizerinnen und Schweizern zu fördern, ist es Hemme-Unger ein Anliegen, dass die Familien und Jugendlichen hin und wieder an einem Gottesdienst teilnehmen. Auch wenn viele Atheistinnen oder Agnostiker seien, bestehe durchaus das Bedürfnis nach Halt. «Anna, kennen Sie ein gutes Gebet, das die Sorgen wegbringt?», sei sie auch schon gefragt worden. Sie ist überzeugt: «Das zeigt, dass sie sich trauen, ihre Sorgen auch im Gebet niederzulegen.

Die Jugendlichen trauen sich, ihre Sorgen im Gebet niederzulegen.
Anna Hemme-Unger, Projektleiterin Galaktika

Später kamen verschiedene Freizeitaktivitäten für die neu in der Schweiz lebenden Menschen dazu. Viele von ihnen wohnten in Zürich und wünschten sich für ihre Teenager einen Treffpunkt. So lancierte Hemme-Unger, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in Muri tätig war, mit jungen Erwachsenen der ehemaligen Jugendgruppe 2023 den Jugendtreff Galaktika. Seither treffen sich Ukrainerinnen und Ukrainer zwischen 16 und 24 Jahren einmal im Monat im Zürcher Café Hirschli beim Kunsthaus, einem Lokal für Studierende, das der reformierten Kirche Zürich gehört. Darunter ist jeweils auch der 20-jährige Pawel, der ohne seine Eltern in die Schweiz geflüchtet war. Seit drei Jahren hat er sie nicht mehr gesehen. Er sagt: «Ich gehe zu allen Veranstaltungen von Galaktika, die sich mir bieten. » 

Laut Hemme-Unger kommt das Projekt nicht nur dem Bedürfnis junger Leute nach Gemeinschaft entgegen, sondern leistet auch Unterstützung bei Schwierigkeiten im Alltag, etwa bei Fragen rund um Schule oder Berufswahl. Sie sagt: «Die Unterschiede zwischen dem Bildungssystem der Schweiz und der Ukraine sind gross. Das führt zuweilen zu Missverständnissen.»