Schwerpunkt 29. Juni 2022, von Astrid Tomczak-Plewka

Auf der Jagd nach Reichweite und Reichtum

Influencerinnen

Sie sind auf allen sozialen Netzwerken präsent und propagieren Lifestyle: Was früher Markenbotschafter oder Meinungsmacherinnen waren, sind heute die «Influencer».

Ein muskulöser, blondierter, täto­wier­ter junger Mann, der mit Löwen posiert: Das ist Dean Schneider, laut seinem Instagram-Account ein «swiss boy» in Südafrika. Seine Mission: Tiere in die Herzen der Menschen zu bringen. Laut Likeometer, einer Suchmaschine mit täglich aktualisierten Statistiken, ist Schneider, Stand 8. Juni, der erfolgreichste Influencer der Schweiz, mit über zehn Millionen Followern und gut 4,5 Millionen Abonnenten und Abon­nentinnen auf Youtube. Das heisst nichts anderes, als dass der «swiss boy» weit über die Landesgrenzen hinaus Menschen anspricht.

Ähnliche Mechanismen für alle

Seit Russlands Angriff auf die Uk­raine tauchen selbst ernannte Kriegs­­reporter und -reporterinnen beider Seiten auf diversen Social-Media-Kanälen auf, darunter die deutsche Alina Lipp, die vom Nachrichtenkanal N-TV als «Putins Infokriegerin» betitelt wurde und in voller Kampfmontur vor zerbombten Häusern im Donbass posiert.

Dean Schneider / Schweiz

Der ehemalige Finanzberater ist die erfolgreichste Schweizer Social-Media-Persönlichkeit. 2017 gründete er in Südafrika ein Wildtierreservat, auf dem Tausende von Tieren leben, die er aus der Gefangenschaft befreite und wieder auswildern möchte. Social Media nutzt er, um seine Followerinnen und Follower für Tierschutz zu be­geistern. In Videos sieht man ihn mit zutraulichen Löwen kuscheln. Aber er betont auch immer wieder, was Wildtiere für Bedürfnisse haben und warum sie keine Haustiere sind. vk

Tiktok | deanschneider.official | 9,9 Millionen Follower
Instagram | dean.schneider | 10 Millionen Follower
Youtube | Dean Schneider | 4,7 Millionen Abonnenten

Auch wenn die Botschaft der beiden Social-Media-Stars unterschiedlicher nicht sein könnte – ihre Mecha­nismen sind sehr ähnlich: «Ein Influencer muss authentisch sein und Nähe zum Publikum herstellen kön­nen», sagt Irène Messerli, Co-Inhaberin und CEO der Kommunikationsagentur Bernet Relations.

Der Erfolg eines Influencers oder einer Influencerin lässt sich demnach nicht nur an der Anzahl Likes oder Follower messen, sondern vor allem an der Wirkung, die jemand erzielt. Das trifft auf «Putins Infokriegerin» zu, die von der quantitativen Reichweite eines Dean Schneider nur träumen kann.

Motivation und Ziele sind un­­terschied­lich, ent­spre­­chend sind es auch die Per­sön­lichkeiten der Influencer.
Irène Messerli, Kommunikationsfachfrau

Dennoch hat sie es geschafft, dass etablierte Medien wie der «Focus», die «Süddeutsche Zeitung» oder der «Stan­dard» über sie berichten. «Es gibt nicht den Influencer oder die Influencerin, Motivation und Ziele sind vielfältig, entsprechend unterschiedlich sind auch die Persönlichkeiten», sagt Messerli.

Vielfalt der Persönlichkeiten, vielfältige Ziele

Das lässt sich anhand dieser beiden Beispiele gut illustrieren: Dean Schnei­der ruft auf seinen Kanälen zu Spenden auf, mit denen er Umweltprojekte finanzieren will, während es Alina Lipp, Tochter eines Russen und einer Deutschen, um eine politische Botschaft geht. Andere Influencer wiederum lassen sich von Firmen oder Tourismusorga­ni­sationen als Botschafter enga­gie­ren. Ein berühmtes Beispiel für Letz­­­teres ist Tennisstar Roger Federer, der unter anderem in einem Video mit Robert De Niro Werbung für die Schweiz macht.

Firmen springen auf

Mehr als die Hälfte der Leute zwischen 13 und 30 Jahren folgen Influence­rinnen und Influencern in den sozialen Medien und suchen dort gezielt nach Produktinformationen. Deshalb nutzen auch immer mehr Unternehmen In­fluencer-Marketing, um Kundinnen und Kunden zu erreichen. Das zeigt eine Studie der Universität Luzern. Laut dieser Studie ist Glaubwürdigkeit das wichtigste Merkmal guter Influencer-Werbung: 71 Prozent der befragten Konsumenten, 83 Prozent der Marketingverantwortlichen und 94 Prozent der Influencerinnen stimmen dieser Aussage zu.

Dabei geht es nicht zuletzt auch um Geld – zum Teil um richtig viel Geld. Wer viele Follower hat, kann mit be­zahlten Werbeposts die Kasse klingeln lassen. Doch nicht nur das: Viele Influencer haben längst eigene Unternehmen, Marken und langfris­tige Partnerschaften aufgebaut sowie attraktive Investments getätigt. Fitness-Ikone Pamela Reif brachte eine eigene Gesundheits- und Ernährungslinie auf den Markt, die es sogar in grossen Drogeriemärkten zu kaufen gibt.

Von der Youtuberin zur Eistee-Produzentin

Shirin David, von Hause aus eigentlich auch «nur» Youtuberin, hat aus sich selbst eine Rapper-Marke gemacht und baut weitere Geschäfts­felder aus, darunter Eistee. Und Pia Wurtzbach – ein deutsch-philippinisches Model – hat laut Schätzungen mit ihren Social-Media-Auftritten bisher ein Vermögen von rund 7,5 Millionen Euro angehäuft.

Solche Geschichten lassen gerade junge Leute den «Traumberuf» In­fluencer anstreben. Doch die meis­ten Influencer gehen im Alltag ei­nem konventionellen Job nach und verdienen sich auf den sozialen Platt­formen mit ihren Auftritten noch etwas dazu.

Wenn die Kirche die Jungen er­reichen will, muss sie sich ih­rem Kommu­nikations­­verhalten an­passen.
Lena Wandner, Kommunikationswissenschaftlerin

Weiter gibt es diejenigen, die ihre Reichweite nutzen, um ethische Botschaften zu vermitteln. Nachhaltigkeit ist dabei ein grosses Thema – also etwa Abfallvermeidung, fair produzierte Bekleidung, der Kampf gegen Food-Waste – weshalb diese «Sinnfluencer» oftmals auch «Greenfluencer» genannt werden. «Das entspricht dem Zeitgeist», sagt Irène Messerli. «Nur Produkte anzupreisen, reicht heute kaum mehr.»

Konservative Sexualmoral neben queerem Pasotrinnenpaar

Entsprechend entdecken auch religiöse Organisationen und deren Exponentinnen und Exponenten zunehmend die sozialen Medien als Ka­nal. Diese sogenannten Christfluencer sprechen über ihren Glauben und sprengen die Grenzen der klassischen kirchlichen Kommunikation. Die Palette reicht von konservativer Sexualmoral bis hin zum lesbischen Pastorinnenpaar Ellen und Steffi Radtke.

Lena Wandner ist Kommunikationswissenschaftlerin in Deutschland. Im medienpolitischen fsf-Blog äussert sie sich über Christfluencer. Sie lobt den liberalen Auftritt des Pastors Gunnar Engel und kritisiert die eindimensionalen Botschaften konservativer Akteure. Grundsätzlich aber gelte: «Wer die junge Generation von heute, die für die Kirche so essenziell ist, erreichen will, muss sich ihrem Kommunikationsverhalten anpassen. Stichwort: Social Media.»