Einst Züpfe, heute alter Zopf?

Ausstellung

Das waren noch Zeiten, als die «Entheiligung» des Sonntags ein Delikt war. Da wurde verwarnt, gebüsst oder gar mit Gefängnis bestraft, wer «nüt oder selten zur Predigt gat», sonntags «kegelt und Wein ausgibt» oder «für sein Vieh graset». Bis ins 19. Jahrhundert war der Sonntag der obrigkeitlich verordnete «Tag des Herrn». Und ein Chor- oder Sittengericht, das im Chor der verschiedenen Kirchen tagte und auch Ehehändel verhandelte, wachte über die staatlich reglementierte Sonntagsruhe.

Sonntagspflicht. «Der verordnete Gottesdienstbesuch hatte auch ganz profane Gründe», sagt Ulrich Zwahlen (64), Lehrer und Leiter des Museums Krauchthal. Denn der Pfarrer predigte nicht nur von der Kanzel, er verlas auch die «Verkündzettel», die amtlichen Mitteilungen von anno dazumal. «Darum musste sonntags mindestens eine erwachsene Person pro Haushalt zur Kirche gehen.» In der Ausstellung «Heute Ruhetag» zur Geschichte des Sonntags im Museum Krauchthal sind solche «Verkündzettel» zu lesen. Da wird etwa die «Frühlingsschnepfenjagd» verboten und der Verkauf des aufmüpfigen «Schweizerboten»-Kalenders auf das Jahr 1807 «im hiesigen Canton» untersagt. Oder die Bevölkerung zur «Schutz-Blattern-Impfung» aufgeboten.

Sonntagsritual. «Die Geschichte des Sonntags ist ein Stück Gesellschaftsgeschichte», sagt Ulrich Zwahlen. Im Museum Krauchthal kann man sie Revue passieren lassen. Man bewundert einen Sonntagstisch um 1900 mit dem ge­diegenem Familiengeschirr. Vertieft sich in die Sonntagslektüre von damals – ins «Christliche Hausbuch» (1857) etwa, eine damals weit verbreitete Erbauungsschrift, oder ins «Gelbe Heftli», das seine Leser 1930 fragt: «Wie verbringst du deinen Sonntag?» Man hat die Qual der Wahl vor der im Museum aufgehäng­-
ten Sonntagsgarderobe: Sonntagstracht, Sonn­tagsanzug oder moderner Freizeitlook à la Trainerhose? Man staunt über ein Reglement der Gemeinde Krauchthal aus dem Jahre 1906, das den Sonntagsverkauf erlaubt. Weil die Bauern nur sonntags von ihren abgelegenen Höfen nach Krauchthal kamen, in die Kirche und die Dorfläden eben. Und man wirft einen Blick hinter Gitter, auf den Sonntag in der Strafanstalt Thorberg um 1920: Nur sonntags durften die Gefangenen Briefe an ihre Liebsten schreiben – zensurierte, versteht sich.

«Früher war der Sonntag ritueller», sagt Ulrich Zwahlen. Die Sonntagszüpfe, der Sonntagsbraten, die Sonntagsvisite und der Spaziergang über Land gehörten fest zum Programm. «Und die Spiele der männlichen Dorfjugend», erinnert sich Peter Röthlisberger (84), ehemaliger Käsermeister und Vize-Präsident des Krauchthaler Museumsvereins. Das «Knütteln» etwa, eine Art Boccia-Spiel mit Stöcken. «Früher war der Sonntag ein Gemeinschaftserlebnis, ein verordnetes oder ein freiwilliges. Heute ist der Sonntag individualisiert», so Ulrich Zwahlen. Heute gelte die Formel: Sonntag gleich Freizeit. Man muss nichts mehr am siebten Tag – man darf alles.

Sonntagsarbeit. Die Ausstellung «Heute Ruhetag» macht aber nicht nur in Nostalgie. Sie dokumentiert auch die Sonntagsträume heutiger Krauchthaler Schülerinnen und Schüler. Und diese wissen den «schönsten Tag der Woche» durchaus noch zu schätzen, «den besten Tag fürs Gamen, Boarden, Chillen».

Und doch: «Der Sonntag ist schleichend gefährdet. Für die Wirtschaft ist er ein Brachtag, ein Tag mit zu wenig Umsatz, ein alter Zopf», sagt Ulrich Zwahlen. In der Ausstellung hängen Abstimmungsplakate der letzten Jahre, gewerkschaftliche und kirchliche. Sie dokumentieren den harten Kampf rund um die Ausdehnung der Sonntagsarbeit. «Der Sonntag ist kein Werktag», ist da als Mahnung zu lesen.

Krauchthal und sein Museum

Das Museum Krauch­thal zeigt Kulturgut
zu Haus, Hof und Hand­werk – sowie zum
Sandsteinabbau und zur Geschichte der Strafanstalt Thorberg. «Heute Ruhetag»:
Die Ausstellung zum Sonntag ist bis Anfang Dezember geöffnet.

Öffnungszeiten. Jeden ersten Sonntag (10 bis 12 Uhr) und jeden dritten Freitag (19 bis 21 Uhr) im Monat, www.krauchthal.ch