«Habe Hoffnungen, aber habe niemals Erwartungen. Dann erlebst du vielleicht Wunder, aber niemals Enttäuschungen.»
Ich konnte den Blick nicht von dem Kalender «Inspirierende Zitate» im Badezimmer meiner Schwiegereltern wenden. Unter dem Spruch stand in kursiven Buchstaben: «F. Assisi». Wäre mir nicht so schlecht vor Unbehagen gewesen, hätte ich vielleicht laut gelacht. Aus irgendeinem Grund hatten die Hersteller als Monatsbild ein tätowiertes Frauenhandgelenk gewählt. Zartrosa Kirschblüten auf weisser Haut, daneben ein japanisches Schriftzeichen, das wohl so etwas wie «Kraft» oder «Mut» bedeuten sollte, in Wirklichkeit aber wohl für «Mikrowelle» stand.
Ein viel passenderes Bild, dachte ich, wäre der Joker aus Batman gewesen. Ein höhnisches, verzerrtes Grinsen, vielleicht sogar ein ausgestreckter Zeigefinger, während meine eigenen zitternden Hände einen Fetzen Klopapier festhielten, auf den ich nicht zu schauen wagte.
Aus dem Wohnzimmer drangen die hungrigen Schreie meiner Nichte, gefolgt von dem müden Stöhnen meiner Schwägerin und dem Verrücken der Stühle. Das Schreien kam kurz näher und entfernte sich sogleich wieder, als das Baby nach oben gebracht wurde. Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Einmal. Zweimal. Dreimal.
Das Klopapier in meiner Hand war blutgetränkt.
Aus diesem Blut, hatte ich gehofft, würde eines Tages ein hungriges, schreiendes Wesen. Blut, für das ich vor ein paar Wochen in einem Anflug übermütiger Hoffnung einen Strampler mit Tigermuster aus Biobaumwolle gekauft hatte. Am liebsten hätte ich den Strampler mitsamt dem Klopapier gegen den dämlichen Kalender geknallt. Stattdessen zog ich meine Hose hoch und drückte die Spülung.
«Habe Hoffnungen.» Dass ich nicht lache.
Ibro und ich versuchten seit Jahren, ein Kind zu bekommen. Ich wusste, wie sich der Eisprung ankündigte und wie das ideale Zeitfenster aussah, hatte mir in regelmässigen Abständen Blut und Urin abnehmen lassen und mir täglich Hormone gespritzt. Je weniger funktionierte, desto mehr schrieb ich private Samenspender auf dem Schwarzmarkt im Internet an, verlor aber schliesslich den Mut, mich darauf einzulassen. Die Hoffnungen, die Schmerzen, die schlaflosen Nächte. Alles endete hier im Bad meiner Schwiegereltern.
Ibro und ich hatten immer gewusst, dass wir Kinder wollten. Wir wussten auch, dass es schwierig werden könnte. Als ich Ibro vor fünfzehn Jahren auf einer Geburtstagsfeier kennenlernte, befand er sich gerade wegen Hodenkrebs in Behandlung. Kein Hindernis für Kinder, sagte er damals. Aber womöglich eine Erschwernis.
Mich nicht in ihn zu verlieben, selbst mit diesem Wissen, wäre unmöglich gewesen. Seine dunklen Haare und die Augen, sein Lachen und die Art, wie er mich zum Lachen brachte; ich hätte ihm am liebsten sofort alle meine Geheimnisse anvertraut. Wenn ich mir damals vorstellte, er würde niemals Vater, brach mir ein Stück des Herzens. Aber es brach so wie in einem traurigen Film. Die Vorstellung war für mich nicht real. Wir würden dieses Problem nicht haben. Viel eher würden wir viel zu viele Kinder in die Welt setzen, so wie meine Eltern es getan hatten.
Aber die Kinder kamen nicht.