Keine Predigt, aber Worte für die Seele

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Der Pfarrer Reto Studer spricht alle fünf Wochen das «Wort zum Sonntag» und berührt viele Zuschauer mit seinen gefühlsbetonten Reden. Zu Besuch bei der Aufzeichnung im SRF-Studio. 

Der Redaktor, die Regisseurin und der Tontechniker sind bereit. In einer Reihe sitzen sie im Regieraum und blicken auf die rund ein Dutzend Monitore vor sich. Auf allen sieht man einen Mann in Anzug gedankenversunken hin und her laufen. Reto Studer, Pfarrer in der Kirchgemeinde Kelleramt, geht im Geiste seinen Text durch für die Sendung «Wort zum Sonntag», die in Kürze   aufgezeichnet wird. Er selbst befindet sich dabei im Studio hinter der Glaswand des Regieraums. Die Kulisse ist vertraut: Hier werden ebenfalls die Nachrichtensendungen des Schweizer Radio und Fernsehens (SRF) aufgenommen. 

Auswendig ohne Schnitt

Jetzt blickt der 45-Jährige in die Roboterkamera. «Ich bin parat!», ertönt seine Stimme im Regieraum. Über Lautsprecher meldet sich sogleich  die Regisseurin. «Okay. Wir starten. Fünf, vier, drei, zwei, eins, los.» Studer holt Atem und setzt ein Lächeln auf. «Es gibt ein altes Lied der britischen Komikertruppe Monty Python, über das ich früher Tränen lachte», beginnt er seine Rede. Sie  führt zu einem wachsenden Unbehagen, das so viele seit dem Ukraine-Krieg und nun auch seit Trumps Präsidentschaft erfasst hat. Vier Minuten wird sie dauern, und er wird erklären, wie man sich eine Weile vom Unbehagen zu lösen vermag.

Studer spricht auswendig. So wie  die vier anderen Pfarrerinnen und Pfarrer, die im Turnus jeden Freitag nach Zürich Leutschenbach ins Studio kommen, liest er nicht ab Prompter. Stattdessen stellt er sich vor, ins Publikum zu sprechen. Und das ist ein grosses – gemäss SRF schauen sich jeweils rund 237'000 Personen das «Wort zum Sonntag» an. Die 71 Jahre alte Sendung, die zweitälteste nach der «Tagesschau», hat ein treues Publikum. 

Mit knurrendem Magen

Auf dem Bildschirm sieht Studer munter aus. Das von der Stylistin aufgetragene Make-up verleiht seinem Gesicht Frische, das manchmal asymmetrische Auf und Ab seiner dunklen Augenbrauen eine lebhafte Mimik. Nichts deutet darauf hin, dass er wegen einer Entzündung im Mund bis jetzt am Nachmittag noch nichts gegessen hat und sich etwas wackelig fühlt. Doch nach vier Sendungen seit seinem Start im letzten Oktober ist er routiniert. unter aus. Das von der Stylistin aufgetragene Make-up verleiht seinem Gesicht Frische, das manchmal asymmetrische Auf und Ab seiner dunklen Augenbrauen eine lebhafte Mimik. Nichts deutet darauf hin, dass er wegen einer Entzündung im Mund bis jetzt am Nachmittag noch nichts gegessen hat und sich etwas wackelig fühlt. Doch nach vier Sendungen seit seinem Start im letzten Oktober ist er routiniert. 

Eigentlich hat er als Pfarrer und Vater einer sechsjährigen Tochter genug um die Ohren. Doch die Anfrage reizte ihn, das Casting machte ihm Spass, ebenso die Aufzeichnungen im Studio. Und er scheint seine Sache bestens zu machen: Er erhält lobende Briefe aus der ganzen Deutschschweiz. Seine verständliche Sprache, in die er jedes Mal ein urschweizerisches Wort einbaut – heute «stigelisinnig», – kommt an. Stets spricht er Gefühle an. Etwa jene Hemmung, Träume zu realisieren. Oder Weihnachten, die nicht schön sind, weil man in einer Krise steckt. Dabei flicht er eigene Erfahrungen ein, zeigt sich verletzlich. 

In Minute vier verhaspelt er sich und bricht kopfschüttelnd ab. «Alles gut!», meldet die Regisseurin. «Nochmals von vorn.» Sie zählt die Sekunden. Studer lächelt in die Kamera. «Es gibt da ein altes Lied der britischen …» In der Mitte stockt er, spricht aber weiter. Die Regie ist mit der Aufnahme zufrieden, da er aber zu weit rechts im Bild stand, braucht es eine dritte Aufnahme.
Wieder eine Runde, wieder ein Versprecher. Studer flucht. Heute wirkt das Glücksarmband, das seine Tochter jedes Mal für ihn knüpft und das er versteckt unter dem Jackettärmel trägt, nicht recht. Vor der fünften Aufnahme braucht er eine Pause. Der Tontechniker reicht ihm eine Cola. «Alles gut, wir haben so oder so die zweite Aufnahme.» 

Im Gottesdienst Fanbesuch

Norbert Bischofberger prüft als Redaktor vor jeder Aufzeichnung die Texte, die Inhalte und Sprache, ob allenfalls Begriffe darin sind, die unverständlich sind oder polarisieren könnten. Wie viel Gott, wie viel Bibel darin vorkommen, ist indes den Pfarrern überlassen. Das «Wort zum Sonntag» ist ein kommentierendes Format, keine Predigt. Studer sagt: «Manche wollen mehr Biblisches, andere schauen rein, weil meine Texte gerade nicht fromm sind.» Er spricht über menschliche Erfahrungen und gesellschaftliche Fragen – theologische Gedanken lässt er erst gegen Ende einfliessen. 

Nach sieben Aufnahmen ist die Aufzeichnung im Kasten. Das SRF-Team ist zufrieden. Für Studer jedoch lief es nicht so rund wie auch schon. Ein paar Wochen später erzählt ihm nach dem Sonntagmorgengottesdienst eine Frau, dass sie extra aus der Innerschweiz zu seiner Predigt angereist sei, weil sein letzter Beitrag am Fernsehen sie so berührt hätte. Darin zeigt sich: Die Unebenheiten im Leben, von denen er spricht, lebt er als Fernsehpfarrer gleich mit. Nicht perfekt, aber echt. Und gerade deshalb voll stiller Kraft.