Auf der Suche nach kleinen Wundern des Verstehens

Verständigung

Der Heilige Geist bewirkte Verständigung über alle Grenzen hinweg. Dafür mussten die Apostel ihre Trauer und Verzagtheit überwinden. In dieser Spannung stehen Menschen bis heute. 

Pfingsten kommt gerade recht. Die Weltlage zeigt, wie verzweifelt die Menschheit um Frieden und Verständigung ringt. Oft stellen sie sich nicht einmal im Kleinen ein. Wer kennt es nicht aus dem Alltag: Mitmenschen können nerven, und wir schaffen es nicht, sie so zu akzeptieren, wie sie sind.

Ein kraftvoller Feiertag 

Alle wissen wir zwar, dass scheiternde Verständigung auch mit uns selbst zu tun hat. Zu wenig Zeit oder Bereitschaft zum Zuhören, zu viel Selbstgewissheit. Und oft klaffen da tiefe weltanschauliche Gräben. Brückenbauen erscheint aussichtslos. Und anstrengend bleibt es, selbst wenn es gelingen sollte. Sei es im Alltag, in den Beziehungen, in der Familie, der Nachbarschaft, den zufälligen Begegnungen unterwegs oder an den Verhandlungs­tischen der Politik: Verständigung ist eine Mammutaufgabe und bitter nötig. Darum sollten wir uns auf Pfingsten freuen! 

Das letzte grosse Fest im Kirchenjahr ist vielen Menschen fremd geworden. Vielleicht, weil es nicht wie Weihnachten und Ostern mit vertrauten Ritualen und einer Tradition mit Geschenken und Kulinarik verbunden ist. Dennoch ist Pfingsten der wohl kraftvollste christliche Termin. Denn dahinter steckt der Heilige Geist. Für den Dichterpfarrer Kurt Marti ist diese Kraft definitiv «keine Zimmerlinde». Der Heilige Geist wirbelt vieles durcheinander, überwindet Gräben, rüttelt an scheinbaren Gewissheiten. An Pfingsten bewirkte er ein Wunder des Verstehens. 

Allein der Glaube bleibt 

Damals hatten die Anhängerinnen und Anhänger Jesu 52 Ausnahmetage hinter sich: vom Ende all ihrer Hoffnungen, als Jesus am Kreuz den Foltertod gestorben war, über Begegnungen mit dem Auferstan­denen bis hin zu seinem endgültigen Verschwinden in den Himmel an Auffahrt.

Nach der Himmelfahrt blieb ihnen nur der Glaube an sein Versprechen, dass in wenigen Tagen in Jerusalem etwas Grosses geschehen werde. Und natürlich die Erinnerungen an das, was ihnen der Auferstandene vor seinem Entschwinden mitgegeben hatte: Da ist die Begegnung an Ostern abends spät, als Jesus die Mauern der Trauer überwand und zu seinen Jüngerinnen und Jüngern sagte: «Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. 

In den zehn Tagen bis Pfingsten muss viel Ungewissheit geherrscht haben. Zehntausende Menschen waren aus allen Himmelsrichtungen in Jerusalem zusammengekommen, um das jüdische Fest Schawuot zu feiern.

Und nachdem er dies sagte, hauchte er sie an, und er sagt zu ihnen: Heiligen Geist sollt ihr empfangen» (Joh 20,20–22). Es ist die vorweggenommene Botschaft von Himmelfahrt: Jesus geht, um zu bleiben. Sein Geist wirkt weiter, seine Mission der Liebe zu erfüllen, ist der Auftrag seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger.  

Der Geburtstag der Kirche 

In den zehn Tagen bis Pfingsten muss viel Ungewissheit geherrscht haben. Zehntausende Menschen waren aus allen Himmelsrichtungen in Jerusalem zusammengekommen, um das jüdische Fest Schawuot zu feiern. Im Haus, wo sich die Jüngerinnen und Jünger aufhielten, waren die Fenster und Türen wie an Ostern gut verschlossen, als ein grosser Sturm aufkam. «Da entstand auf einmal vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie sassen» (Apg 2,2). 

Der Sturm brachte die Taufe mit dem Heiligen Geist in Gestalt von Feuer­zungen mit und verlieh den Verzagten den Mut, hinauszugehen und das Vermächtnis von Jesus zu predigen. Plötzlich verstanden alle das Gesagte in ihrer Sprache, was ihnen mit Feuer und Flamme verkündet wurde. 

An Pfingsten ereignet sich das Wunder der Verständigung. Die Apostelinnen und Apostel verkünden zum Geburtstag der Kirche eine revolutionäre Botschaft: dass jeder Mensch einzigartig ist und alle Menschen zusammengehören.

An Pfingsten ereignet sich das Wunder der Verständigung. Die Apostelinnen und Apostel verkünden zum Geburtstag der Kirche eine revolutionäre Botschaft: dass jeder Mensch einzigartig ist und alle Menschen zusammengehören. Dass das, was verbindet, stärker ist, als was trennt. Apostel Paulus sollte es später in diese Worte fassen: «Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist nicht Mann und Frau. Denn ihr seid alle eins in Christus» (Gal 3,28). 

Freilich zeigt die Geschichte, dass die Kirche nicht immer im Dienst dieser Vision wirkte. Kirchen und Religionen haben gespalten statt geeint, Zwietracht gesät statt Einheit geschaffen. Und dennoch gab und gibt es immer wieder Momente, in denen der Geist von Pfingsten aufleuchtet und Menschen zueinanderfinden, einander verstehen, ohne den eigenen Standpunkt aufzugeben, zusammenhalten und einander helfen, ohne Differenzen auszublenden. 

Vertrauen schafft Frieden 

Zuweilen fällt der Glaube an die Wunder, von denen die biblischen Texte erzählen, schwer. Trotzdem kann ihre Botschaft stärken. An so vielen Orten auf der Welt herrschen Krieg, Tod und Not. Und bei den bisher Verschonten sind Gewissheiten bedroht und Angst macht sich breit. So viel Verstän-digung auf Erden wäre nötig, um die Mauern des Hasses niederzureissen, die Gewalt zu beenden und Verständnis, Vertrauen, Frieden zu schaffen!

Da bleibt tatsächlich nur die Hoffnung auf Pfingsten. Vielleicht ist es nur eine ganz kleine, unscheinbare Flamme, die leuchtet. Oder wie es die Dichterin Hilde Domin formuliert: «Nicht müde werden / sondern dem Wunder / leise / wie einem Vogel / die Hand hinhalten.» Immer wieder.