Verstehen wir uns noch?
Jürgen Wiebicke: So wie ich die Gesellschaft wahrnehme, liegt das Problem eher darin, dass die Möglichkeit dazu fehlt. Die Begegnung findet gar mehr nicht statt. Ich beobachte bei vielen Menschen die Neigung, sich die Konfrontation mit anderen Meinungen und Lebensstilen gänzlich zu ersparen.
Aus Angst?
Sich einzuschliessen in eine Welt unter seinesgleichen, geschieht tatsächlich aus Angst. Dass deshalb die Übung fehlt, mit konfrontativen Begegnungen umzugehen, ist klar. In Deutschland bieten Institutionen vermehrt Kurse gegen Stammtischparolen an. Mein Verdacht ist, dass Leute, die diese Angebote besuchen, aber gar nie in die Begegnung reingehen, weil die Menschen, vor denen sie eigentlich Angst haben, nicht Teil ihrer Lebenswelt sind.
Ist es nicht ein legitimer Impuls, sich mit Leuten zu umgeben, mit denen man sich gut versteht?
Natürlich ist das Leben bequemer, wenn ich nicht mit Widerspruch konfrontiert werde. Wir beziehen den Begriff «Blase» auf den digitalen Raum. Aber in den sozialen Medien werde ich viel eher mit Widerspruch konfrontiert als im realen Leben. An Geburtstagsfeiern sitzen oft nur Leute am Tisch, die ohnehin der gleichen Meinung sind. Und wenn nicht, sprechen sie die Differenzen lieber erst gar nicht an.