Gesellschaft 24. September 2025, von Nicole Noelle, kirchenbote.ch

#RaptureTok – Wenn die Entrückung viral geht

Soziale Medien

Ein Pastor prophezeite die Entrückung für diese Tage – und entfacht einen Social-Media-Hype. Hinter dem Phänomen stehe eine gefährliche Lehre, warnt ein Experte.

«Oh my God, it's happening! The Rapture is coming! » Solche Ausrufe und aufgeregte Gesichter tauchen derzeit auf Tiktok unter dem Hashtag #RaptureTok auf. Mit «Rapture», zu Deutsch Entrückung, ist die Vorstellung gemeint, dass Jesus gläubige Christen zu sich holt. 

Seit der südafrikanische Pastor Joshua Mhlakela auf Youtube die Entrückung für den 23. und 24. September angekündigt hat, verbreitet sich das Phänomen vor allem in den USA über Tiktok und Youtube.

Muss ich jetzt mein Haus abschliessen?

Nicht alle Videos unter #RaptureTok sind ernst gemeint, doch viele nehmen die Entrückung ernst – und stellen praktische Fragen: Soll ich das Haus abschliessen und draussen warten? Was, wenn ich gerade auf der Toilette bin? Muss ich vorher noch meine Rechnungen bezahlen? 

Doch es bleiben nicht nur bei banalen Überlegungen. Viele sorgen sich um die Zurückgebliebenen. Melissa etwa fragt sich, wie sie ihr Zuhause für jene vorbereiten soll, die nicht in den Himmel kommen. Dass sie selbst entrückt wird, steht für sie ausser Frage. Andere denken an ihre Haustiere. Auf der Website «After The Rapture Pet Care» können Gläubige ihre Tiere registrieren, damit nichtchristliche Freiwillige sich um sie kümmern. 

Wer an ein konkretes Endzeitdatum glaubt und sich darauf vorbereitet, kann durch das Ausbleiben der Ereignisse in eine Krise geraten.
Georg Otto Schmid, Experte für neue religiöse Bewegungen

Keine traditionelle Lehre 

Die Idee der Entrückung ist nicht neu und taucht immer wieder zu bestimmten Daten auf. «Obwohl die ‹Rapture›  im amerikanischen Evangelikalismus grossen Einfluss hat, gehört sie nicht zur traditionellen christlichen Eschatologie, wie sie die katholischen und reformatorischen Kirchen lehren», erklärt Georg Otto Schmid, Sektenexperte von Relinfo. 

In der klassischen Eschatologie erwartet man die Wiederkunft Christi, der Zeichen wie Kriege, Seuchen und Katastrophen vorausgehen. «Der Dispensationalismus, den John Nelson Darby ab 1830 begründete, propagierte die Idee einer doppelten Wiederkunft», sagt Schmid. Zuerst erscheine Jesus in den Wolken, um die Gläubigen zu holen, dann, nach den Endzeitwirren, kehre er für die ganze Welt zurück. 

Bei Fragen oder persönlichen Belastungen im Zusammenhang mit Sekten, Endzeitglauben oder religiösem Zwang bietet die Fachstelle Relinfo vertrauliche Beratung und Unterstützung. Kontaktangaben unter www.relinfo.ch

Diese Lehre habe sich ab 1830 stark in freikirchlichen Kreisen verbreitet und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominiert, erklärt Schmid. In der Schweiz förderte etwa die Bibelschule Beatenberg den Dispensationalismus und prägte damit Generationen von Freikirchlern. 

Wenn die Prophezeiung nicht eintrifft 

Doch was, wenn Christus und die Entrückung ausbleibt? «Wer an ein konkretes Endzeitdatum glaubt und sich darauf vorbereitet, kann durch das Ausbleiben der Ereignisse in eine Krise geraten», warnt Schmid. Er erinnert an den 21. Dezember 2012, als in der Esoterikszene der «Aufstieg der Erde in die fünfte Dimension» erwartet wurde. Nach dem Ausbleiben des Aufstiegs suchten viele verzweifelte Menschen Hilfe. Leider nicht alle – es kam zu Suiziden. «Endzeitdaten können für Gläubige brandgefährlich sein. Prediger, die solche Daten nennen, handeln verantwortungslos», betont Schmid. 

Keine Erwartungen mehr an diese Welt

Die Aussicht auf ein nahes Weltende spreche Menschen an, die nichts mehr von dieser Welt erwarten, weil sie bereits den Untergang ihrer Lebenswelt erlebt haben, erklärt Schmid. Verluste – sei es durch Trennung, Arbeitslosigkeit, Krankheit oder soziale Isolation – machten empfänglich für solche Botschaften. 

Gesellschaftliche Umbrüche könnten ganze Schichten in ihrer Existenz bedrohen und apokalyptische Bewegungen auslösen. Während der Corona-Pandemie häuften sich apokalyptische Botschaften, selbst in Schweizer Freikirchen. Die aktuelle Weltlage, geprägt von Kriegen, Klimakrise und sozialer Unsicherheit, verstärke diese Tendenzen. 

Uriellas Botschaften sahen Hunderttausende, geglaubt haben nur wenige Hundert.
Georg Otto Schmid, Experte für neue religiöse Bewegungen

Mehr Show als Glaube 

Weltuntergangsbotschaften ziehen immer wieder die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Man denke an Uriellas wechselnde Prophezeiungen in den 1990er-Jahren, die «TeleZüri» hohe Quoten bescherten. Doch bei Online-Hypes dürfe man das Interesse nicht mit dem Glauben an die Lehre verwechseln», betont Schmid. «Uriellas Botschaften sahen Hunderttausende, geglaubt haben nur wenige Hundert.» 

Ähnlich verhält es sich mit der Entrückung im September 2025. Unter #RaptureTok dominieren inzwischen Videos, die das Phänomen belächeln, während der Algorithmus die User zum nächsten Aufreger treibt.