Publizistischer Boxkampf um den Abgang einer Chefredaktorin

Medien

Vor weniger als einem Jahr trat sie an, jetzt ist sie wieder weg: die Berner Pfarrblatt-Chefredaktorin Annalena Müller. Rund um den Abgang spekulieren Medien über Gründe.

«Kirche bietet so viel: Spiritualität, Glaubensheimat, Friedensarbeit, Spitalseelsorge, Projekte mit Geflüchteten – kurz: Engagement, das für die Gesellschaft relevant ist.» Darüber müsse man reden und schreiben, sagte Annalena Müller vor einem guten Jahr im Interview mit «reformiert.»

Im Gespräch war sie damals zusammen mit ihrem Vorgänger, dem abtretenden Pfarrblatt-Chefredaktor Andreas Krummenacher. Dessen Posten beim katholischen Medium in Bern, den Krummenacher sechs Jahre innehatte, übernahm Müller per Juli 2024.

Jetzt ist schon alles wieder anders. Am 22. Mai verkündete das Pfarrblatt «in eigener Sache», dass der Vorstand Annalena Müller freigestellt habe. «Das Redaktionsteam verliert damit eine engagierte Chefin, die sich mit Herzblut für das Pfarrblatt eingesetzt hat», teilte die Redaktion öffentlich mit. Sie sei «fassungslos und sehr traurig». 

Unerwartete Kündigung

Auf Anfrage sagt die Journalistin: «Für mich kam die Kündigung unerwartet und ohne dass es vorher Gespräche gab. Auch Vorfälle sind mir keine bewusst, die diesen Schritt für mich nachvollziehbar machen würden.» Weitere Stellungnahmen könne sie nicht abgeben, da ihr Arbeitsverhältnis formal noch bis Ende November bestehe.

Der Vorstand des Pfarrblatts gibt als Grund an, «im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung die organisatorischen Strukturen zu überarbeiten – insbesondere im redaktionellen Bereich». Aufgabenbereiche würden neu definiert und entsprechend personelle Veränderungen vorgenommen.

Die Zusammenarbeit mit Annalena Müller sei wegen «unterschiedlicher Auffassungen zur strategischen und redaktionellen Ausrichtung» und einem «fehlenden Vertrauensverhältnis verunmöglicht». Sie werde per sofort freigestellt, ihre Aufgaben interimistisch vom Vorstand in Zusammenarbeit mit externen Fachpersonen übernommen. Damit sei die kontinuierliche Herausgabe des Pfarrblatts sichergestellt, teilte der Vorstand mit. 

Vier Zeitungen versus Bistum Basel 

Das Thema verblieb aber nicht in den kirchlichen Medien. Am Pfingstwochenende 2025 griffen die «NZZ am Sonntag» und am 10. Juni die «Berner Zeitung» und der «Bund» mit Verweis auf den «Sonntagsblick» vom 1. Juni den Umgang des Bistums Basel mit Akten zu Missbrauchsfällen auf. Unter anderem hiess es, der Basler Bischof Felix Gmür verweigere die Herausgabe von neuen Missbrauchsakten. 

Die Beiträge wiederum veranlassten das Bistum Basel jetzt zu einer deutlichen Reaktion. Diverse Behauptungen der vier Zeitungen bezeichnet das Bistum in einer Mitteilung als unwahr, ihren Journalismus als unlauter. So habe das Bistum Basel auch «in keiner Art und Weise etwas» zu tun mit der Freistellung der Chefredaktorin des Berner Pfarrblatts.

Unlauterer Journalismus und Distanzierung «aufs Schärfste»: Bistum Basel stellt Medienberichte in Abrede

Nach einem «Faktencheck» würden nur noch «Behauptungen und Verleumdungen» bleiben, hält das Bistum Basel in einer Mitteilung fest. Der Bischofssitz wehrt sich damit gegen Beiträge im «Sonntagsblick» und «Bund» und in der «NZZ am Sonntag» und «Berner Zeitung». Diese betrieben «unlauteren Journalismus», schreibt das Bistum in der am 11. Juni 2025 aktualisierten Version einer Mitteilung vom 8. Juni.

In den erwähnten Zeitungen erschienen Anfang Juni Artikel über die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz. Am 10. Juni 2025 publizierten die «Berner Zeitung» und der «Bund» Beiträge, die den Inhalt von «Sonntagsblick» und «NZZ am Sonntag» gemäss Bistum Basel «zumindest teilweise immer noch übernahmen, obwohl ihnen eine entsprechende Richtigstellung seitens des Bistums» vorgelegen sei. Denn die «Grundaussagen der Artikel» entsrpächen nicht der Wahrheit.

Auch dass der Bischof von Basel die Herausgabe von neuen Missbrauchsakten verweigere, wie teils geschrieben wurde, entspreche nicht der Wahrheit. «Der Bischof von Basel stellt dem Forschungsteam der Universität Zürich alle Archivakten zur Verfügung. Weil das Bistum davor zwingend sicherstellen muss, dass alle Vorschriften des schweizerischen Rechts eingehalten werden, ist es schon lange mit den Historikerinnen der Universität im Austausch und hat mit ihnen schon vor dem Erscheinen der Artikel ein Gespräch vereinbart», schreibt das Bistum.

Nachfolgend listet es eine Reihe von «Behauptungen» aus den Medienbeiträgen auf, die nicht den Tatsachen entsprächen. Abschliessend stellt das Bistum Basel fest, die Zeitungen würden ihre Behauptungen mit keinen Beweisen belegen, «stellen Unwahrheiten als wahr dar, beziehen sich einzig auf Hören-Sagen-Belege und den vermeintlichen Quellenschutz, überschreiten massiv die Grenzen des Anstands, was einem Rufmord gleichkommt und verunglimpfen in niederträchtiger Art und Weise das Bistum Basel, seinen Bischof und damit die ganze katholische Kirche.»

Diese mögliche Verbindung brachten die beiden Berner Zeitungen in einem Artikel mit dem Titel «Recherche in Missbrauchsfall könnte zu Entlassung geführt haben» ins Spiel. Die Vermutung liege nahe, Müllers Abgang könne auch mit einem Interview von ihr mit dem Missbrauchsopfer «und diversen Folgeartikeln» zu tun haben. Belege für einen Zusammenhang nennen die Zeitungen aber nicht. Und der Vorstand des Pfarrblatts bestreitet, dass Müllers Berichterstattung im Zusammenhang stehe mit ihrer Entlassung.

Die 42-jährige promovierte Historikerin weiss zurzeit noch nicht, wie es beruflich für sie weitergeht. «Ich werde mir Zeit nehmen, dies in den nächsten sechs Monaten zu entscheiden», sagt sie. Und: «Dem wunderbaren Redaktionsteam des Pfarrblatts wünsche ich nur das Beste.»