Was die beiden den Papst fragen würden

Medien

Der Berner «Pfarrblatt»-Chefredaktor Andreas Krummenacher übergibt im Sommer an Annalena Müller. Im Interview sprechen die beiden über kirchlichen Journalismus.

Andreas Krummenacher, Sie verlassen nach 14 Jahren das Berner «Pfarrblatt» als Chefredaktor. Was nehmen Sie mit?

Als Journalist hatte ich die Möglichkeit, mit so vielen Menschen unterschiedlichster Herkunft zu sprechen, vom Bundesrat bis zum geflüchteten Eritreer – ich weiss nicht, ob es sonst einen Beruf gibt, in dem es möglich ist, eine so breite Palette an Menschen kennenzulernen. Aus diesen Begegnungen nehme ich unendlich viel Bereicherndes mit. Natürlich gab es auch traurige und aufwühlende Momente. Wie 2018 eine Pressereise in den Irak: Diese totale Zerstörung, die erschütternden Schicksale in den Flüchtlingscamps wirken in mir noch heute nach.

Annalena Müller, Sie werden die neue Chefredaktorin des «Pfarrblatt». Was bringen Sie mit?

Viel Energie, viel Elan. Und den Wunsch, unsere Themen über das kirchliche Umfeld hinaus in die Öffentlichkeit zu tragen. Viele christliche Anliegen sind ja auch Anliegen der Gesamtgesellschaft, nur, dass sie hier anders heissen. Die kirchliche Barmherzigkeit ist dasselbe wie die säkulare Solidarität. Hier möchte ich ansetzen, und ich freue mich darauf. Unter meinem Vorgänger sind der Relaunch der Website und des gedruckten Magazins bereits erfolgt. Unter solchen Bedingungen einsteigen zu können, ist geradezu luxuriös.

Annalena Müller, 41

Sie ist in Mainz aufgewachsen, studiert hat sie Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft in Deutschland und Frankreich, promiviert in den USA. 2014 kam sie an die Universität Basel, dann an die Universität Fribourg. 2023 wechselte sie vom Wissenschaftsbetrieb in den Kirchenjournalismus. Zuerst arbeitete sie ein Jahr lang beim Schweizer Kirchenportal kath.ch, am 1. Juli 2024 tritt sie als Chefredaktorin des Berner «Pfarrblatt» an. Annalena Müller lebt seit 2020 in Bern.

Annalena Müller, Sie haben beim Kirchenportal kath.ch Marias Jungfräulichkeit im historischen Kontext erörtert und kritisch über die Missbrauchsfälle berichtet. Wie gehen Sie mit den Reaktionen verärgerter Leserinnen und Leser um?

Es geht im Journalismus ja nicht darum, sich beliebt zu machen. Sondern darum, Sachverhalte dazustellen und zu erklären. Dass es nicht immer allen gefällt, gehört dazu. Allerdings war ich über manche Reaktionen zu meiner vierteiligen Marien-Serie dann doch überrascht. Vielleicht waren die beiden ersten Teile im Ton etwas polemisch, ich denke, das würde ich heute vermeiden. Inhaltlich stehe ich aber nach wie vor dazu.

Das Engagement der Kirche ist gesellschaftlich relevant.
Annalena Müller, neue Chefredaktorin «Pfarrblatt»

Andreas Krummenacher, Sie hatten in den 14 Jahren Ihres Wirkens natürlich auch nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Wann erregt kirchlicher Journalismus die Gemüter besonders?

Wenn jemand in einem Buch oder einem Essay biblische Inhalte auf möglichst breite Verständlichkeit herunterbricht, regt sich interessanterweise immer auch Widerstand. Das äussert sich jeweils in Leserbriefen und Anrufen. Und einmal hatten wir auf der Titelseite einen Menschen mit dunkler Hautfarbe. Das gab einige Reklamationen, die mich sehr betroffen machten. Letztlich sind es aber meist kleine Kreise, die sich ärgern. Die grosse Mehrheit scheint mit unserer Arbeit zufrieden zu sein. Dazu gehören auch die Bischöfe: Sie haben sich unserem kritischen Nachfragen nie verweigert.

Andreas Krummenacher, 46

Geboren und aufgewachsen im Luzernischen, besuchte er die Kantonsschule Beromünster, eines der ältesten Gymnasien schweizweit. Danach studierte er Geschichte, Staatsrecht und Politologie, später in Bern auch Medienwissenschaft. In der Bundesstadt lebt er seit 1998, und hier arbeitet er seit 2010 beim katholischen «Pfarrblatt». 2018 wurde er dessen Chefredaktor. Nun bildet sich Andreas Krummenacher zum Gymnasiallehrer weiter. Voraussichtlich diesen August tritt er in den Schuldienst ein.

Man hört zuweilen, dass die Berner Katholiken besonders liberal seien. Stimmt das?

Andreas Krummenacher: Ja, das stimmt schon. Die Diaspora-Situation prägt, man steht in engem Kontakt zu den reformierten Mitchristinnen und -christen, viele Paare sind bikonfessionell, die Kirchenräume entfalten generell weniger Pracht als in den katholischen Stammkantonen – das alles macht einen gelassener. Allerdings haben wegen der Missbrauchsfälle viele Liberale die Römisch-katholische Kirche verlassen, die Konservativen bleiben.

Annalena Müller: Die Konservativen relativieren die Missbrauchsfälle, sagen, das komme ja schliesslich auch in Sportvereinen und in jeder grösseren Firma vor. Gut sei das zwar nicht, aber eben auch keine kirchenspezifische Angelegenheit.

Annalena Müller, Sie haben sich als Historikerin für eine Laufbahn im Journalismus entschieden. Warum gerade in der kirchlichen Sparte?

Kirche und kirchliche Themen interessieren. Um sie abzubilden, braucht es einen ruhigen, kritischen und fachlich kompetenten Journalismus. Kirche bietet so viel: Spiritualität, Glaubensheimat, Friedensarbeit, Spitalseelsorge, Projekte mit Geflüchteten – kurz: Engagement, das für die Gesellschaft relevant ist. Darüber muss man reden und schreiben.

Dann ist für Sie also klar: Es braucht den kirchlichen Journalismus.

Annalena Müller: Unbedingt. Wobei es gilt, zwei Publikumsgruppen zu bedienen: die kirchennahe Leserschaft und die Leute, die weiter entfernt sind. Die Interessen der beiden Gruppen sind nicht deckungsgleich; es gilt, die Balance zu finden.

Andreas Krummenacher: Dem schliesse mich an. Und möchte ergänzen, dass es dabei eine Sprache zu finden gilt, die alle verstehen. Vielen Kirchenleuten ist noch immer nicht bewusst, dass ihre Sprache von den Adressaten oft nicht verstanden wird. Hier leisten wir Journalistinnen und Journalisten wichtige Übersetzungsarbeit. Ich kann doch mit Gläubigen reden, wie ich es mit Freunden auch tun würde, dann würde ich eben von Solidarität sprechen und nicht von Barmherzigkeit.

Im Journalismus gilt der Grundsatz: «Man mache sich mit keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten». Das ist aber gerade im Kirchenjournalismus, wo es per se um «das Gute» geht, besonders schwierig, oder nicht?

Annalena Müller: Der journalistische Grundsatz gilt. Aber die Idee, dass Journalismus vollkommen neutral zu sein habe, ist in dieser Absolutheit eine Selbsttäuschung. Das ist unrealistisch. Ich mache mich ja bereits gemein mit einer Sache, wenn ich bei einer liberalen Kirchenzeitung arbeite und nicht bei einer traditionalistischen. Was es aber braucht, auch in der Kirche, ist fairer und kritischer Journalismus.

In der Kirche braucht es eine Sprache, die alle verstehen.
Andreas Krummenacher, scheidender Chefredaktor «Pfarrblatt»

Andreas Krummenacher: Richtig – die journalistischen Standards sind gegeben, ihnen gilt es nachzuleben. Für mich heisst das: Jeder soll angehört, verschiedene Quellen sollen konsultiert werden. Aber meine persönlichen Überzeugungen, die habe ich, die kann ich nicht verleugnen. Und selbstverständlich fällt dies bei der Würdigung der recherchierten Fakten ins Gewicht, oft auch unbewusst. Vielleicht ist es je nachdem tatsächlich etwas einfacher, seine Überzeugungen bei einer kirchlichen Zeitung zu leben als bei einem säkularen Nachrichtenmedium. Über allem aber steht die Leitlinie, dass ich Journalist bin, kein Aktivist.

Andreas Krummenacher, im säkularen Journalismus sind es vor allem zahlkräftige Inserenten, die auf Redaktionen Einfluss nehmen wollen. Wie ist es beim «Pfarrblatt»?

Wir werden von den Kirchgemeinden finanziert, und diese sind mit unserer Arbeit zufrieden. Es kommt kaum zu Versuchen, inhaltlich Einfluss zu nehmen. Manchmal wurde ich von Lesern, mit denen ich am Telefon über einen Beitrag kontrovers diskutierte, schon subtil daran erinnert, wer meinen Lohn bezahlt, aber direkt und als offenes Druckmittel wurde dies nie ausgespielt. Wir geniessen grosse publizistische Freiheit.

Kirchenzeitungen sind Marken, die noch immer vor allem als Printprodukte wahrgenommen werden. Denken Sie, dass kirchliche Publizistik eine digitale Zukunft hat?

Andreas Krummenacher: In unserer Sparte kommen wir digital niemals auf die Zahlen, wie wir sie im Print haben. Die Leserin, der Leser muss das Produkt in die Hand nehmen, um es wahrzunehmen und dann auch zu lesen. Die Leute haben das Blatt ja nicht persönlich abonniert, das tut die Pfarrei für sie. Deshalb denke ich, dass es die Kirchenzeitungen noch sehr lange in der gedruckten Form geben wird. Aber digital sehe ich schon interessante Möglichkeiten. So lässt sich zum Beispiel auf Social Media mit etwas Investition in Werbung eine gezielte Feinadressierung vornehmen, wie sie im Print kaum möglich ist.

Annalena Müller: Ich denke, das Digitale ist die Zukunft. Gerade über die digitalen Kanäle lässt sich ein Publikum ausserhalb der kirchlichen Kreise ansprechen. Mit schneller und kompetenter Online-Präsenz bringt man seine Expertise in einer breiten Öffentlichkeit zur Geltung und wird auch von säkularen Medien als Kompetenzzentrum wahrgenommen. Ich würde aber nie nur digital fahren wollen. Das «Pfarrblatt» ist und bleibt im Kern ein gedrucktes Magazin.

Andreas Krummenacher, Sie waren stets sehr ökumenisch unterwegs. Eine Folge der Diaspora-Situation oder persönliches Anliegen?

Persönliches Grundanliegen, ganz klar. Gemäss der Bibelstelle im Johannesevangelium: «Doch nicht nur für diese hier bitte ich, sondern auch für die, welche durch ihr Wort an mich glauben: dass sie alle eins seien, so wie du, Vater, in mir bist und ich in dir.» Langfristig bleibt uns Christenmenschen in diesen säkularen Zeiten ja nichts anderes übrig, als zusammenzustehen, voneinander zu lernen und unsere Stärken zu bündeln.

Annalena Müller: Ökumene – ja, unbedingt und selbstverständlich. Das gilt auch für mich.

Sie bekommen zufällig die Gelegenheit, rasch den Papst zu treffen und über diese Begegnung zu schreiben. Sie dürfen dem Pontifex aber nur eine einzige Frage stellen. Die wäre?

Annalena Müller: Das ist eine schwierig Frage. Aber wenn ich die Chance hätte, würde wohl fragen: «Was hält Sie zurück, Papst Franziskus?»

Andreas Krummenacher: Als Historiker hätte ich viele Fragen, die ich ihm stellen möchte. Aber was als Journalist, der dann auch noch über diese Begegnung schreiben sollte? Schwierig, schwierig. Ich würde ihn wohl ganz unprätentiös nach seiner Gesundheit fragen.