Wie haben Sies mit der Religion, Frau Kälin?
Zur Religion pflege ich primär ein wissenschaftliches Verhältnis. Ich bezeichne mich als Agnostikerin, habe also keine abschliessende Antwort, ob es Gott gibt oder nicht. Religionen aber faszinieren mich – insbesondere die Rituale, die Kraft, die sie auf Menschen ausüben, und wie sie Gemeinschaft schaffen.
Haben Sie deshalb Religionswissenschaften studiert?
Nicht nur. Mich interessieren auch die Gemeinsamkeiten der Religionen. Obwohl häufig mit den Differenzen von Christentum, Judentum und Islam politisiert wird, haben Anhängerinnen und Anhänger dieser monotheistischen Religionen doch vieles gemeinsam.
Ihr Lebenspartner hat Theologie studiert. Spielt Religion eine Rolle in der Erziehung Ihres Sohnes?
Wir sind eine religiöse Patchwork-Familie. So haben wir für unseren Sohn in der Kirche unseres Wohnortes anstelle der Taufe eine an katholische Rituale angelehnte Segnung gefeiert. Gegenüber dem Staat ist er wie ich noch ohne Konfession, aber Religion soll und darf in seinem Leben eine Rolle spielen.
Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre religiöse Erziehung?
Meine Grossmutter begleitete ich regelmässig zum Rosenkranzbeten. Das war schön, gleichzeitig auch etwas irritierend: dass Frauen und Männer getrennt in der Kapelle sassen und in schwindelerregender Geschwindigkeit beteten. Meine aus der Kirche ausgetretenen Eltern lehrten mich religiöse Offenheit. Mal besuchten wir einen hinduistischen Tempel, ein andermal eine katholische Messe.
Gibt es ein Ritual, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Einmal im Jahr zieht es mich in meinen Heimatort Einsiedeln. Im Kloster besuche ich die Schwarze Madonna und lausche den Mönchen, wenn sie zur Vesper das Salve Regina singen.