«Das ist eine lange Geschichte.» Es war ein typischer Bichsel-Satz, mit dem Peter Bichsel in «reformiert.» auf die Gretchenfrage antwortete. Sobald er sprach oder schrieb, erzählte er. Denn Bichsel wusste, dass die Welt noch nicht verloren ist, solange Geschichten erzählt werden.
Schlichte Sprachkunst
Als buchstabensüchtiger Junge las er früh in der Bibel. Vieles verstand er nicht. Das Nichtverstehen blieb für ihn eine Möglichkeit des Lesens. «Lesen ist umständlich und unökonomisch», sagte Bichsel in seiner Rede, als er 2004 die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät in Basel entgegennahm.
Bichsel wurde Primarlehrer. Mit «Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen» wurde er 1964 zum Schriftsteller. In schmalen Erzählbänden brachte er seine wunderbar schlichte Sprachkunst zur poetischen Meisterschaft. Daneben schrieb er Kolumnen, äusserte sich immer wieder politisch, bezeichnete sich als Sozialisten. Der reformierten Kirche blieb er treu.
Die anständige Rebellion
Den «frommen Glauben» der Jugend, den er im Rückblick als durch Anständigkeit getarnte Rebellion gegen die Eltern interpretierte, verwissenschaftlichte er später. Bichsel setzte sich mit Karl Barth und Augustinus auseinander, las den Philosophen Søren Kierkegaard.
Das Lesen sei genauso kreativ wie das Schreiben, sagte Bichsel. «Ein Schriftsteller ist einer, der immer wieder Dinge erfindet, die es schon gibt.» Texte setzen sich beim Lesen und Wiederlesen jeweils neu zusammen, und sie korrespondieren mit dem eigenen Leben. Im intimen Rückzug, im stillen Betrachten der Buchstaben eröffnet sich eine Welt. Zugleich gibt es dieses stille Einverständnis unter Lesenden, das eine Gemeinschaft entstehen lässt.
Auch der Glaube ist persönlich und zugleich auf Gemeinschaft ausgerichtet, oft auf sie angewiesen. Vielleicht deshalb beschrieb Bichsel das Lesen als «heilige Handlung». Am 15. März ist Schriftsteller Peter Bichsel kurz vor seinem 90. Geburtstag gestorben.