In Italien fand sie zum Ave Maria

Literatur

Ihr Leben hat Esther Spinner dem Schreiben gewidmet, den Hunden und den Frauen. Und kürzlich einen mutigen Schritt gewagt. 

Esther Spinner ist Schriftstellerin, Feministin – und leidenschaftliche Hundeliebhaberin. Ihr neues Buch ist eine zärtliche Hommage an ihre Hunde, die sie ein Leben lang treu begleitet haben, aber auch eine ehrliche Auseinandersetzung mit dem literarischen Schreiben und ihrem Selbstverständnis als Autorin. «Es könnte mein letztes grösseres Werk sein», sagt sie und fügt an, sie freue sich darüber, wie viele Frauen ihr schrieben, ihr Buch sei «spannend und inspirierend».

Das Gespräch mit der 76-Jährigen findet an einem grauen Dezembernachmittag in ihrer neuen Genossenschaftswohnung im Zürcher Industriequartier statt. Schon dunkelt es draussen, drinnen ist es behaglich und warm. Noch sei nicht alles fertig eingerichtet, sagt Spinner bei der Begrüssung, Cimas Futternapf etwa brauche einen anderen Platz. Die Hündin deckt ihn jeweils mit einem Tuch zu, sobald Besuch kommt. «Sie hat wohl Angst, dass ihr jemand das Futter wegnimmt», sagt Esther Spinner und lacht. 

Gemeinsam wohnen

Vor wenigen Wochen ist die Autorin mit ihrer langjährigen Lebensgefährtin zusammengezogen. Für Esther Spinner ein grosser Schritt. Beinahe 30 Jahre lang wohnte sie allein, zuletzt in einer 80 Quadratmeter grossen Atelierwohnung mit einem gemeinschaftlichen Garten. Sie hatte Platz für zwei Schreibtische, einen Servierboy voller Schreibhefte, meterweise Bücherregale. All das musste nun auf weniger als die Hälfte reduziert werden. 

Im Alter zusammenziehen – sie hätten immer wieder darüber gesprochen, sagt Esther Spinner. Seit 40 Jahren sind sie und die Fotografin Katrin Simonett ein Paar. Kennengelernt haben sie einander in der Frauenbewegung der 1980er-Jahre. Da war Esther Spinner bereits geschieden und lebte mit ihrem neuen Freund in einer Wohngemeinschaft. «Ich bin eine spätberufene Lesbe», sagt sie lachend. Weibliche Jugendlieben habe es zwar schon früh gegeben, aber sich auf Frauen einzulassen, sei lange nicht im Bereich des Möglichen gelegen. «Dann ist Katrin aufgetaucht, und ich habe mich so sehr in sie verliebt, dass es bis heute hält.» 

Feministischer Blick aufs Leben

Trotz des Engagements in der Frauenbewegung und einem weiblichen Umfeld im Beruf – Spinner arbeitete damals neben ihrer Autorinnentätigkeit in der Pflege als Ausbildnerin – sei der Bruch in ihrem Leben gross gewesen. «Ich war 40 Jahre alt und merkte plötzlich, dass mich in den Augen der Umwelt der Mann an meiner Seite aufgewertet hatte.» Von dem Moment an musste sie sich ihren Wert «selbst geben». 

Bis heute fällt Esther Spinner auf, «dass ich anders behandelt werde, wenn ich mit meinem Ex-Mann essen gehe, als wenn ich mit meiner Partnerin unterwegs bin». Das habe ihren feministischen Blick auf das Leben nochmals geschärft. 

Mit Maria reden

Deshalb betet sie nicht zu Gott, wenn sie geistigen Beistand sucht, obwohl sie reformiert aufgewachsen ist und mit Anfang zwanzig auch kirchlich heiratete. In Italien, das lange Zeit ihre Wahlheimat war und wohin sie sich viele Jahre lang zum Schreiben zurückzog, begegnete ihr Maria. In Kirchen, im italienischen Ave Maria, das für ihr Empfinden so ganz anders klingt als das deutsche. «Ich rede mit Maria, sie berät und beschützt mich», sagt Spinner, lächelt und krault sanft das Fell von Cima, die jetzt auf ihrem Schoss ruht. 

Bald kommt ihre Partnerin von der Freiwilligenarbeit zurück. Eine Weile lang habe sie befürchtet, nie mehr allein zu Hause zu sein. Doch die Angst sei unbegründet gewesen. Es mache viel Freude, mehr Nähe zu leben. «Wir sind jetzt beide alt und wollen zueinander schauen», sagt Esther Spinner. Und natürlich auch zu Cima.

Esther Spinner: Mit Hund und Wort. Mit Bildern von Katrin Simonett. Edition 8, 2024