Welches ist Ihre schönste Erinnerung an den ESC?
Marius Bear: Ich fand es unheimlich spannend, zwei Wochen lang mit Menschen aus 45 Ländern zu verbringen. Das war ein mega Miteinander! Mit der finnischen Band The Rasmus und dem deutschen Sänger Malik Harris bin ich heute noch in Kontakt. Natürlich war es auch ein unheimlich tolles Gefühl, auf die Bühne rauszugehen und vor 30000 Fans im Stadion und 160 Millionen Fernsehzuschauern weltweit mein Lied zu singen.
Sie landeten auf Platz 17, Nemo hat 2024 gewonnen. Wie ist das zu erklären?
«The Code» traf mit den Themen Gender und Selbstverwirklichung voll den Zeitgeist, und Nemo legte einen spektakulären Auftritt hin, der bestens zum ESC passte. Ich könnte kein solches Feuerwerk abziehen, mir liegt die Tiefe näher. Ich bevorzuge das Leise und hoffe, dass es jemand hört.
Zur Musik gekommen sind Sie jedoch durch Ihre Lautstärke im Militär.
Stimmt. Nach einem Antrittsverlesen sagte ein Soldat zu mir, ich wäre immer dreimal lauter als alle anderen Wachtmeister. Mit dieser geilen Stimme müsse ich unbedingt singen. Wir sollten es ausprobieren, er hätte seine Gitarre dabei. So trafen wir uns am Abend, um ein wenig zu jammen, wobei ich realisierte, dass ich tatsächlich ein gewisses Talent habe und das Singen in mir eine Emotion weckt, die ich schon lange gesucht habe und gut für meinen Seelenfrieden ist. Darauf brach ich die Offiziersschule ab und trat an den Wochenenden als Strassenmusiker auf – zuerst in Fribourg, damit es im Appenzell niemand mitbekam!
Ihr ESC-Song im Jahr 2022 hiess «Boys Do Cry». Sind Sie ein Mann, der weint, wenn er besonders Schönes oder Schmerzliches erlebt?
Ja, ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Als vor zwei Jahren mein Vater starb, heulte ich wie ein Schlosshund. Als «Papi-Kind» traf mich sein Tod besonders hart. Es war auch extrem: Zwei Wochen nach dem Entscheid, dass ich die Schweiz am ESC vertreten darf, hatte er die Diagnose Hirntumor erhalten. Er sagte jedoch, ich solle nun nicht an ihn denken, sondern an mich glauben und Vollgas geben. Und dies, obwohl ich nicht mehr als Baumaschinenmechaniker arbeitete und eines Tages seine Firma übernehmen wollte, sondern meinem Herzen gefolgt war und Musik machte.
Wie haben Sie diesen Schicksalsschlag verkraftet?
Es gab eine Phase, in der ich professionelle Hilfe brauchte, um dieses Wechselbad der Gefühle zu bewältigen. In den zwei Wochen in Turin war ich mir noch wie Justin Bieber vorgekommen, wenn in der Hotellobby Dutzende von Fans warteten, um Selfies mit den ESC-Teilnehmern zu ergattern. Kaum war ich wieder zu Hause, kamen zur Krankheit meines Vaters die Trennung von meiner damaligen Freundin und der Verlust der Wohnung. Glücklicherweise lernte ich ein halbes Jahr später meine heutige Verlobte kennen. Jasmine hat mir sehr geholfen.
Wäre es für Sie auch in Frage gekommen, bei einem Seelsorger Trost zu suchen?
Als Kind erschien mir die katholische Kirche eher bedrohlich als hoffnungstiftend, weshalb ich nur an Weihnachten und an Ostern gerne in den Gottesdienst ging. Da ich ein leichtes ADS habe, versteckte ich im Messbüchlein meistens meinen Gameboy. Sonst hätte ich kaum so lange still sitzen können. Grundsätzlich kann ich mit Religionen mehr anfangen, wenn sie Toleranz lehren und zu einem positiven Tun führen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Meine Mutter, die sehr gläubig ist, arbeitete als Krankenschwester. Einmal pro Jahr reiste sie nach Lourdes, um dort eine Woche lang ehrenamtlich Kranke zu pflegen. Ich war oft dabei und war sehr beeindruckt. Ich hätte mir durchaus vorstellen können, beruflich etwas in dieser Richtung zu machen, doch dann ist es anders gekommen. Ich hoffe aber, dass meine Musik Balsam für die Seele ist.