Rhetorik in der Bibel

Buch

Reden zu halten, gehört für viele zum beruflichen Alltag. Der Pfarrer und Rhetoriker Tillmann Luther erklärt in seinem neuen Buch, welche rhetorischen Tipps die Bibel bereithält.

Die Bergpredigt Jesus’ von Nazareth, des Messias der Christenheit, gilt als das Kernstück der jesuanischen Lehre. Für Tillmann Luther ist sie zugleich «die grösste Rede aller Zeiten» – nicht nur inhaltlich, sondern auch rhetorisch. Denn Luther ist beides, Theologe und Rhetoriker. Seit Jahren beschäftigt sich der reformierte Pfarrer in Visp mit der Kunst des Redens. Zu diesem Thema schreibt er auch Bücher. Sein neuestes Werk heisst «Das genialste Rhetorik-Buch der Welt. Wie Sie mit biblischer Sprachkraft Ihr Publikum begeistern – und sich selbst übertreffen».

Mit dem «genialsten Buch» meint Luther nicht sein eigenes, das wäre für einen Pfarrer ja auch etwas unbescheiden. In seiner rund 200 Seiten umfassenden Erörterung analysiert er die rhetorischen Finessen, die im Buch der Bücher – in der Bibel also – zu finden sind, und gibt Ratschläge, wie sich dieser überlieferte Schatz heben und im heutigen Berufs- und sonstigen Leben anwenden lässt.

Rhetorische «Schockmomente»

Was aber macht gerade die Bergpredigt im Neuen Testament der Bibel so brillant? «Sie hat eine klare Struktur, mitreissende Sprachbilder und bewusst konstruierte emotionale Steigerungen», schreibt Luther. Die berühmten Seligpreisungen zu Beginn seien kurze, einprägsame Sätze mit überraschendem Inhalt; weiter enthalte die Predigt rhetorische Stilmittel wie Parallelismen, Wiederholungen und Antithesen. Letztere «wirken wie rhetorische Schockmomente, sie destabilisieren vertraute innere Muster und zwingen zum Nachdenken. Jesus ist sich dadurch der Aufmerksamkeit seines Publikums gewiss.»

Auch in den alttestamentarischen Propheten erkennt Tillmann Luther Meister der Rede, insbesondere verweist er auf deren bildhafte Sprache: «Wehe denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, und die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen», zürnt der Prophet Jesaja (Jes 5,20), und der Prophet Jeremia prangert an: «Mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich Zisternen, die rissig sind und kein Wasser halten» (Jeremia 2,13).

Rhetorische Fragen aktivieren das Publikum, statt es passiv zu berieseln.
Tillmann Luther, Pfarrer und Rhetoriker

Auch heute lasse sich daraus lernen: «Wer komplexe Themen greifbar machen will, kann wie die Propheten auf bildhafte Sprache setzen, sei es in Predigten oder gesellschaftlichen Debatten», erklärt Tillmann Luther. Auch Wiederholung und rhythmischer Parallelismus verstärkten die Relevanz einer Botschaft, und «rhetorische Fragen aktivieren das Publikum, statt es passiv zu berieseln».

Vor allem aber, so Luther, hätten sich die Propheten nicht darin genügt, soziale Missstände anzuprangern, sondern ihrer Kritik positive Visionen der Gerechtigkeit gegenübergestellt. «So verbinden sie schonungslose Analyse mit einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.»

Luther nennt zahlreiche weitere Textbeispiele im Alten und Neuen Testament, in denen rhetorische Könner wie etwa der Apostel Paulus oder die Psalmendichter am Werk waren. Und Könnerinnen: «Abigajils Rede ist ein Beispiel für gute Rhetorik. Sie nutzt Demut, kluge Bildsprache und göttliche Verheissungen (worauf David ansprechbar ist), um David umzulenken. Und so erreicht sie ihr Ziel: David lässt von seinem Racheplan ab.» Gemeint ist Abigajil, die Frau des reichen Hirten Nabal, der David abwies, als dieser eine Entlöhnung für geleistete Schutzdienste einforderte. Daraufhin plante David eine Strafexpedition gegen Nabal, aber die Frau des Hirten konnte den Warlord und künftigen König nach allen Regeln orientalischer Sprachkunst umstimmen.

Vielfältige Einflüsse

In seinen Ausführungen nennt Tillmann Luther die hebräische Dichtung und Erzähltradition als Quell der rhetorischen Hochblüte, wie sie sich in der Bibel zeigt, dazu kanaanäische und mesopotamische Komponenten, in Neuen Testament zudem griechische und römische Einflüsse. Allgemein lasse sich sagen: «Die biblische Rhetorik ist (…) von einer schlichten, eindringlichen Ausdrucksweise geprägt, die direkt ins Herz und Gewissen redet. Die Sprache der Bibel ist konkret und alltagsnah. Sie verwendet Bilder und Beispiele aus der Lebenswelt der antiken Menschen (wie Landwirtschaft, Hirtenwesen, Fischerei), um auf geniale Weise geistliche Wahrheiten zu vermitteln.»
Mit der Analyse lässt es der Autor aber nicht bewenden. In mehreren Kapiteln zeigt er auf, wie sich der Sprachreichtum der Bibel für rednerische Auftritte nutzbar machen lässt, von der Wahl der Stilmittel über die Schaffung einer optimalen Struktur bis hin zum Kampf gegen das Lampenfieber.

Eine ur-menschliche Kulturtechnik

Ein Rhetorik-Ratgeber in Buchform, der sich zur Hauptsache auf ein bereits bestehendes Buch bezieht? Warum nicht – schliesslich ist die Bibel immer noch der Weltbestseller Nummer 1. Wer dieses heute oft als sperrig empfundene religiöse Buch einmal unter einem neuen Blickwinkel kennenlernen möchte, liegt bei Luthers neuem Werk genau richtig. Es ist allgemein verständlich geschrieben und öffnet den Blick über das Biblische hinaus auf die Welt der Sprache und des Sprechens, auf eine der ur-menschlichsten Kulturtechniken also.

Tillmann Luther: Das genialste Rhetorik-Buch der Welt, Taschenbuch, ISBN 979-8282086430

Tillmann Luther, 64

Tillmann Luther, 64

Er ist Pfarrer in der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Visp und errang 2013 den Europameistertitel in Rhetorik. Seit über zwei Jahrzehnten motiviert er Menschen, rhetorisch über sich hinauszuwachsen, spricht bei Banken, Finanzbrokern und Sicherheitsfirmen, coacht Politikerinnen und Politiker und gibt regelmässig Rhetorikseminare an Schulen, für Jugendliche und Charity-Organisationen. Seine Freizeit verbringt er, wie er auf seiner Website schreibt, am liebsten mit seiner Frau Annette und im Rhetorik Club Bern.

www.tillmann-luther.com