Klimakrise vor dem Zuger Kantonsgericht

Klimaklage

Heute standen sich in Zug zwei Bewohner der indonesischen Insel Pari und das Schweizer Zementunternehmen Holcim vor Gericht gegenüber. Es geht um Verantwortung in der Klimakrise.

Heute Mittwoch wurde Zug zum Schauplatz einer Klimaklage von internationaler Tragweite. Zwei Frauen und zwei Männer von der indonesischen Insel Pari verlangten vor dem Kantonsgericht, dass das Schweizer Zementunternehmen Holcim Verantwortung für seine Emissionen übernimmt. Es könnte ein Präzedenzfall für die Schweiz werden und ein Signal senden, dass Konzerne auch juristisch für die Folgen der Klimakrise einstehen müssen. 

Im Saal sassen die beiden Kläger Ibo Asmania und Arij Pujianto, sowie auch Vertreterinnen und Vertreter vom Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirchen Schweiz (Heks), der deutschen Menschenrechtsorganisation ECCHR und der indonesischen NGO Walhi, welche die Kläger unterstützen und mit einer Kampagne auf ihre Situation aufmerksam machen. Vertreten wurden die vier Indonesier von Cordelia Bähr, der Anwältin, die 2024 bereits die KlimaSeniorinnen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertreten hatte.

Schutzwürdiges Interesse oder nicht?

In der heutigen Verhandlung ging es nicht um die Forderungen – Reduktion der Treibhausgase, Beteiligung an Schutzmassnahmen und Beiträge zu den Kosten bereits entstandener Schäden – sondern um die Frage, ob das Gericht auf die Klage eintreten soll. Bähr formulierte die Kernpunkte: Haben die Kläger ein schutzwürdiges Interesse? Ist das Zuger Gericht zuständig? Sind die Rechtsbegehren genügend bestimmt? Für sie ist klar: «Die Kläger haben Schäden erlitten, ihre Persönlichkeitsrechte sind verletzt, weitere Schäden drohen. Ein stärkeres Interesse, vor Gericht gehört zu werden, ist kaum denkbar.» Sie verwies auf internationale Präzedenzfälle wie die Klage eines peruanischen Bauers gegen den deutschen Energiekonzert RWE. Holcim sei für rund 0,5 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, doppelt so viel wie die ganze Schweiz. «Jede ausgestossene Tonne CO₂ verschärft das Problem», so Bähr, Holcim trage eine Mitverantwortung. 

Dann ergriff Ibu Asmania das Mikrofon. «Ich bin weit gereist und habe meine Kinder allein gelassen, um heute hier zu sein», sagte die 42-jährige Laden- und Gasthausbesitzerin. «Wir spüren die Auswirkungen des Klimawandels jeden Tag. Nachts habe ich Albträume. Wohin sollen wir gehen, wenn unsere Insel untergeht? Wir haben die Schäden nicht verursacht, aber wir hoffen noch immer auf eine Zukunft.» Sie bitte das Gericht inständig, auf die Klage einzutreten. 

Wir spüren die Auswirkungen des Klimawandels jeden Tag. Nachts habe ich Albträume. Wohin sollen wir gehen, wenn unsere Insel untergeht? Wir haben die Schäden nicht verursacht, aber wir hoffen noch immer auf eine Zukunft.
Ibu Asmania, Bewohnerin Pari

Die Gegenseite beantragte, dies nicht zu tun. Die Anwälte von Holcim räumten ein, dass der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung darstellt, bezeichneten das Verfahren jedoch als «die falsche Bühne». Solche Fragen gehörten in die Politik, nicht vor ein Zivilgericht. Die Klägerin und Kläger seien Repräsentanten eines globalen Problems und würden von den NGOs instrumentalisiert.

Ibu Asmania zeigte sich nach der Verhandlung sehr aufgebracht über den Kommentar, sie und die drei anderen Bewohner von Pari seien von Heks und Walhi gezielt für eine eigene Kampagne ausgesucht worden: «Ich bin wütend! Man stellt uns als ungebildete Opfer dar. Aber ich kämpfe für mich und meine Kinder, und für die Menschen auf meiner Insel. Für diesen Kampf habe ich mich selbst entschieden und ich werde ihn weitergehen.» Sie sei in keiner Weise instrumentalisiert worden. Die vier Franken des Anwalts empfand sie als besonders verletzend. 

Derzeit rund 3000 Klimaklagen weltweit

Die Klage ist die erste ihrer Art vor einem Zivilgericht in der Schweiz. Die Klägerseite fordert, dass Holcim seine Emissionen am 1,5-Grad-Ziel ausrichtet, sich an Schutzmassnahmen auf der Insel beteiligt und für bereits entstandene Schäden aufkommt. Bei letzterem geht es nicht um Millionen, sondern um rund 3500 Franken pro Person. Im Fokus steht aber die Grundsatzfrage: Kann ein Schweizer Konzern für seine Rolle in der Klimakrise rechtlich belangt werden?

Der Fall reiht sich in eine weltweite Welle von Klimaklagen ein. Laut einer Studie des Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment sind mittlerweile fast 3000 Klimaklagen in knapp 60 Ländern eingereicht worden. Immer häufiger werden neben Staaten auch Unternehmen zur Verantwortung gezogen. Gerichte beginnen, Klimaschutz als verfassungs- und menschenrechtliche Pflicht zu erkennen und nicht nur als politische Aufgabe. Auch die jüngsten Gutachten des Internationalen Gerichtshofs und des Interamerikanischen Gerichtshofs bekräftigen: Klimaschutz ist rechtlich verbindlich, Unternehmen tragen Mitverantwortung.

Mehr als ein juristisches Lehrstück

Noch hat das Zuger Kantonsgericht keinen Entscheid getroffen. Fällt dieser zugunsten der vier Indonesier aus, käme dies einem deutlichen Signal gleich: Klimagerechtigkeit lässt sich auch vor Schweizer Gerichten einfordern. Entscheidet es dagegen, bleibt den Betroffenen nur der Weg durch die Instanzen bis ans Bundesgericht.

Für Asmania und ihre Mitstreiter steht weit mehr auf dem Spiel als ein juristisches Lehrstück. «Es geht um unsere Zukunft auf dieser Insel», sagte sie. «Wir haben noch Hoffnung, dass wir bleiben können.»