Felix Reich
Meinung 30. September 2024, von Felix Reich

Christliche Wurzeln und eine bunte Baumkrone

Kommentar

Die vorberatende Kommission des Parlaments der Kirchgemeinde Zürich kritisiert, das Hilfswerk Solidara habe seine christlichen Wurzeln gekappt. Das Gegenteil ist der Fall.

Die vorberatende Kommission hat recht: Es geht um seine Glaubwürdigkeit, wenn das Parlament der Kirchgemeinde Zürich entscheidet, ob die Sockelfinanzierung des Hilfswerks Solidara langfristig gesichert bleibt. Kritisiert wird, dass sich Solidara, das den auf die pietistische Gründungszeit zurückgehenden Namen Zürcher Stadtmission abgelegt hat, «von seinen christlichen Wurzeln getrennt» habe, da die Trägerschaft für andere Konfessionen und Religionen geöffnet wurde.

Vor der Debatte

497'500 Franken erhält Solidara von der Kirchgemeinde Zürich, die im Vorstand zwei Sitze besetzt. 2016 hatte sich das 1862 gegründete Werk von der Evangelischen Gesellschaft gelöst.  Solidara betreibt im Zürcher Niederdorf das Café Yucca sowie in Zürich und Winterthur die Anlaufstelle für Sexarbeitende Isla Victoria. Die Kommission für Diakonie, Bildung und Kommunikation des Parlaments der Kirchgemeinde Zürich will den Antrag der Kirchenpflege, der die Sockelfinanzierung für Solidara für die nächsten vier Jahre vorsieht, zurückweisen. Nur noch zwei Jahre lang sollen die Gelder fliessen. Der Entscheid im Kirchenparlament fällt am 31. Oktober.

Will die Kirche tatsächlich Kirche sein, verkündet sie das Evangelium und lebt dem jüdischen Gesetz nach, das Jesus im Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ins Bild setzt. Jener, der es erfüllt, indem er seinen Nächsten im zerschundenen Antlitz des Opfers erkennt und «ihm Barmherzigkeit erweist» (Lk 10,37), ist aber kein Jude und schon gar kein Christ. Auch deshalb darf die Kirche Diakonie nie zur Imagepflege verzwecken. Kompass des diakonischen Handelns ist die Not der Menschen.

Das Privileg verpflichtet

Nicht zuletzt im Vertrauen darauf erhält die Kirche Hunderte Millionen Franken vom Staat, hinzu kommen Firmensteuern, von denen die Kirchgemeinde Zürich stark profitiert. Aus diesem Privileg erwächst die Pflicht, Kooperationen mit anderen Konfessionen und Religionsgemeinschaften, staatlichen Stellen und zivilgesellschaftlichen Kräften einzugehen. Diesen Grundsatz, den auch der Kirchenrat in seine Legislaturziele aufgenommen hat, füllt Solidara pionierhaft mit Leben. Statt den Markt mit konfessionell profilierten Hilfsangeboten zu übersättigen, tut es gemeinsam mit anderen Konfessionen und Religionen schlicht das, was Not tut.

Wenn die Baumkrone der Diakonie so wachsen darf, wie es sich in einer multireligiös gewordenen Stadt gehört, werden die christlichen Wurzeln genährt. Ein Kirchenparlament, das Solidara auf diesem Weg unterstützt, stärkt die Glaubwürdigkeit der Kirche.