Eine warme Suppe und ein offenes Ohr

Diakonie

Ob alt oder jung, ob mit kleinen oder grossen Sorgen, mit psychischen Problemen oder ohne Obdach: Seit einem halben Jahrhundert finden im Café Yucca alle einen Ort zum Sein.

Es ist 15.15 Uhr. Soeben hat das Café Yucca seine Tore geöffnet. Holger ist einer der ersten Gäste. Er kommt aus Deutschland, lebt aber schon ein paar Jahre in der Schweiz, wie er bei einem Kaffee erzählt. Viele Jahre verdiente er seinen Lebensunterhalt als Sanitär. Im Oktober 2022 kam die Krise. Wegen seines Alkoholproblems verlor er Job und Wohnung. Seither schlage er sich in Zürich auf der Gasse durch. Jeden einzelnen Tag kommt Holger ins Café Yucca. Denn hier gebe es gratis eine warme Suppe mit Brot, mehr könne er sich ohnehin nicht leisten. Zudem tausche er sich mit Leuten aus, erfahre dadurch etwas Ablenkung. Und er bekomme Hilfe in bürokratischen Belangen. Diese brauche er dringend, denn er fürchtet, auch noch seine Aufenthaltsbewilligung zu verlieren.

Schicksale wie das des 55-Jährigen sind im Yucca keine Seltenheit. Wer an der Häringstrasse 20 in der Zürcher Altstadt ein- und ausgeht, kennt das Gefühl, am Rand der Gesellschaft zu stehen. Es sind Menschen, denen es an ganz grundlegenden Dingen mangelt wie Essen, Medikamenten oder einem Schlafplatz. Sie sind oftmals ohne Perspektive, haben Probleme mit Ämtern und Institutionen.

Gäste aus aller Welt

Hinzu kommen bei vielen Gästen psychische Probleme, erklärt Kurt Rentsch. Der reformierte Theologe leitet das Café Yucca seit 30 Jahren. Die Toleranz in dieser Hinsicht sei gross, das mache das Yucca aus, denn es gebe in der Stadt Zürich nur wenige niederschwellige Angebote für Menschen mit psychischen Leiden.

Neben der praktischen Unterstützung, das kann Hilfe bei der Steuererklärung oder das Bezahlen einer Fahrkarte sein, bekommen die Menschen vor allem eins: Zuwendung, ein offenes Ohr. «Sie können die Last, die sie tragen, für kurze Zeit ablegen und teilen.» Viele seiner Gäste kennt der Seelsorger persönlich, wie Holger, mit dem er schon zahlreiche Gespräche führte. Andere sind lediglich auf der Durchreise. Seit den Anfängen des Yucca habe sich das Publikum stark verändert. Heute gebe es vermehrt Passantinnen und Passanten aus Europa. «Wir nennen diese Europawanderer – sie stammen aus dem osteuropäischen Raum und sind in Europa unterwegs, auf der Suche nach einem Auskommen.»

Tatsächlich haben die meisten Gäste, die an diesem Juli-Nachmittag ins Café Yucca kommen, Reisetaschen und Gepäckstücke dabei. Unterdessen ist es kurz nach 16 Uhr. Trotz sommerlicher Temperaturen hat sich eine Schlange vor dem Buffet mit dem dampfenden Suppentopf gebildet. Nicht selten komme es zu einem Konflikt zwischen Stammgästen und Reisenden. «Wir als Team müssen das auffangen», sagt Rentsch. Er zeigt auf die farbigen Bilder an den Wänden, die von heimischen und auslän­dischen Gästen während Mal-Aktionen im Café Yucca angefertigt wurden. «Sie bringen das Verbindende zum Ausdruck.»

Das Café Yucca ist ein Angebot des Hilfswerks Solidara, der früheren Zürcher Stadtmission. Es ist sieben Tage in der Woche bis 22.30 Uhr offen. Im Lauf der Zeit ist das Angebot – mit zunehmender Nachfrage – gewachsen. Das Team besteht mittlerweile aus neun Personen, die alle in der Sozialberatung tätig sind, sowie Zivildienstleistenden und einer Köchin. Am Anfang stand Rentsch selbst in der Küche. Schmunzelnd sagt er: «Ich war Wirt, Koch und Seelsorger zugleich.»

Dienst am Nächsten

Sein Anspruch sei es nicht, den Menschen eine Moral aufzudrücken, sie in eine bestimmte Richtung zu drängen. Vielmehr wolle er einfach da sein für Gäste und Passanten. Es sind solche kleinen Dinge, die ihn trotz schwieriger Momente jeden Tag motivieren, weiterzumachen. Er erinnert sich an einen Gast, der glaubte, vom Teufel besessen zu sein. Rentsch war gerade daran, das Café zu schliessen, als dieser ihn unvermittelt frage: «Wer bin ich für dich?» Ohne nachzudenken, antwortete er: «Mein Nächster.» Die Antwort habe den Mann, der sonst gern provozierte, offenbar überzeugt, er sagte nur: «Das passt.»

«Diakonie wird hier im Alltag gelebt, ganz unaufgeregt, selbstverständlich, von Herzen», sagt Rentsch. Das kommt auch im Namen zum Tragen. Dieser ist von der Yucca-Palme abgeleitet, einer beliebten Wohnzimmerpflanze. Und genau so fühlt man sich auch in diesem Café: so wie in einem gemütlichen Wohnzimmer.

Nachfrage gestiegen

Das Café Yucca wurde im Jahr 1973 als «Jugendcafé» gegründet. Heute stehen Café und Beratung allen Menschen in schwierigen Lebenslagen offen. Finanziert wird das Angebot von den Kirchen der Stadt Zürich, dem Sozialdepartement und Spenden. Seit der Pandemie ist die Nachfrage stark gestiegen: Gästekontakte von 18 322 (2020) auf 22 874 (2022), die Anzahl Sozialberatungen von 4098 (2020) auf 4331 (2022). Am 24. Au­gust fand zum 50-jährigen Jubiläum eine grosse Geburtstagsfeier statt.