In meiner Jugend kursierten auf dem Schulhof Schwulenwitze. Meist fehlte eine Pointe. Immerhin: Für die Animation der Lachmuskulatur diente das langgedehnte ausgesprochene «e» von «Deetleeef».
Mein Vorname wurde mir zur Last. Sicher: Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Aber wer lacht schon
als Pubertierender bei einer so heiklen Sache wie der Sexualität über sich selbst? Aus Detlef wurde Delf.
Anfang 1970er-Jahre: Manchmal gab «Dr. Sommer» im Jugendmagazin «Bravo» Jugendlichen mit gleichgeschlechtlicher Neigung eine verständnisvolle Antwort. Aber unter uns Jungs galt es als ausgemacht: Etwas Gruseligeres wie Homosexualität lässt sich kaum mehr ausdenken. Wie meine Schulfreunde und mein ganzes soziales Umfeld war ich davon überzeugt: Schwulsein ist widernatürlich. Schon früh hat sich das Bild festgesetzt, dass zur Sexualität das Kinderkriegen, also Mann und Frau, gehören.
Mich störten die Detlef-Witze, aber nicht die sich dahinter verbergende, abgrundtiefe Verachtung der Schwulen. Erst im Studium begegnete ich Schwulen und Lesben. Langsam lösten sich die Stammtisch-Stereotypen auf. Aber diese Toleranz, die oft eben auch Gleichgültigkeit ist, schlug erst in echte Empathie um, als mir ein aidskranker Schwuler seine Lebensgeschichte erzählte. Die sexuellen Suchbewegungen seiner Jugend, die Konflikte mit dem Elternhaus, die ihn beinahe in den Suizid führten, machten mir klar: Gegen die Diskriminierung der Schwulen müssen wir Heteros einstehen.
. Als 1996 in der Reformierten Kirchensynode in St. Gallen der Segen für Gleichgeschlechtliche in der Kirchenordnung verankert werden sollte, schrieb ich einen
Artikel. Ein Pfarrer wetterte gegen die Akzeptanz einer Segensspende: «Bei den Befürwortern wird Theologie zur Vulgärpsychologie.» Und er diktierte mir weiter in den Notizblock: «Nicht jede Form von Eros muss ausgelebt werden.» Achtzehn Jahre später hören sich solche Sätze verstaubt und antiquiert an. Die reformierte Kirche hat sich gewandelt – und ich mich mit ihr.