Asylverfahren im Ausland werden salonfähig

Migration

Während Parteien europaweit die  Auslagerung von Asylverfahren fordern, mahnen Ethiker zur Vorsicht. Auch die Kirche ist skeptisch, verschliesst sich der Debatte aber nicht.

Die Asyldebatte in Europa spitzt sich zu. Deutschland führt wieder Kontrollen an seinen Grenzen ein und diskutiert wie andere Staaten harte Massnahmen zur Ausschaffung abgewiesener Asylsuchender. In Grossbritannien wurde das umstrittene Abschiebeabkommen mit Ruanda von der neuen Regierung bereits wieder gestoppt. In Italien plant die Regierung jedoch, ähnliche Abkommen mit Albanien abzuschliessen. Und auch in der Schweiz nimmt die Debatte Fahrt auf.

Die Schlepper schwächen

Der Appenzeller Ständerat Andrea Caroni (FDP) hat im Februar ein Postulat eingereicht, das vom Bundesrat verlangt, eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten ausserhalb Europas zu prüfen. Im Einklang mit Schweizer Recht und internationalen Verpflichtungen. Die irreguläre Einwanderung soll mit dem Schritt reduziert werden. 

Im Interview mit «reformiert.» erklärt Caroni: «Die heutige Asyllotterie zieht oft die Falschen an.» Er verweist auf Schleppernetzwerke und Fahrten über das Mittelmeer, die oft tödlich enden. Gleichzeitig sei es für «echte Flüchtlinge», insbesondere für vulnerable Personen, extrem schwierig, Europa zu erreichen, sagt Andrea Caroni.   Für den Rechtsanwalt liegt die Lösung in der Überprüfung der Asylgesuche in der Nähe der Herkunftsländer oder dann spätestens an den Aussengrenzen der Europäischen Union. Ein solches Regime soll Wirtschaftsmigranten abschrecken und Schlepperbanden schwächen.

Renommierte Migrationsexperten wie der niederländische Soziologe Ruud Koopmans unterstützen den Ansatz, weshalb die Idee international Beachtung erhält. Kritik üben Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Sie befürchten Menschenrechtsverletzungen in solchen Aufnahmezentren ausserhalb von Europa.

Gegen die Auslagerungspraxis spricht sich auch Johan Rochel aus. Er ist Dozent für Migrationsethik an der Universität Zürich. «Das Verfahren verspricht zu Unrecht Kontrolle über ein Problem, das wir eigentlich nicht lösen können», sagt er. Vielmehr sieht er in der Debatte eine «politische Show», die dazu diene, Ängste zu schüren. Wenn «populistisch von einem Asylchaos die Rede ist und von Messerstechern, dann kommen solche Ansätze gerade recht». Die Vergangenheit aber zeige, dass sie nicht funktionierten.

Ein Beispiel ist das Abkommen, das Israel vor zehn Jahren mit Ruanda und Uganda abschloss. Es sah vor, afrikanische Flüchtlinge aus Eritrea und dem Sudan, die illegal in Israel leben, gegen Geld in die beiden Länder abzuschieben. Doch viele Menschen wurden von dort ohne Verfahren in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt. Schutzstandards wurden nicht eingehalten. Auf internationalen Druck hin beendete Israel die Kooperation wieder.

Verstoss gegen Völkerrecht

Für Rochel ist klar: «Auslagerungen an Drittstaaten bergen ein sehr hohes Risiko, gegen das Non-Refoulement-Prinzip zu verstossen.» Die Regel besagt, dass keine Person in ein Land abgeschoben werden darf, in dem ihr Verfolgung, Folter, Erniedrigung droht. 

Die Praxis sei «eine klare Verletzung des Völkerrechts» und verstosse gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die jedem Asylbewerber eine individuelle Prüfung seines Gesuchs garantiere, sagt Rochel.

Abgeschreckt werde damit niemand. «Die Leute werden es nach wie vor versuchen: Was haben sie zu verlieren, wenn sie ohnehin zurückgeschickt werden?» Für den Juristen und Ethiker kann allein eine gerechte Verteilung der Verantwortung in der internationalen Gemeinschaft die Lösung sein.

Wenn es um moralische Pflicht gegenüber Menschen in Not geht, schaltet sich auch die Kirche ein. Zum Flüchtlingstag äusserte sich Anna-Nicole Heinrich, Präsidentin der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), deutlich: Sich der eigenen Verantwortung für notleidende Menschen zu entziehen, sei «unverantwortlich, unrechtmässig und unrealistisch». 

Von der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) gibt es noch keine Stellungnahme. Der Debatte verschliesse man sich nicht, sagt David Zaugg, Beauftragter für Migration. Trotz aller Skepsis, die er mit Rochel teilt, sei es politisch wichtig, die Idee der Auslagerungen ethisch und rechtlich sauber zu prüfen, statt sie kategorisch abzulehnen. «Wir dürfen Ländern des globalen Südens nicht pauschal absprechen, Menschenrechtstandards einhalten zu können.» 

Ein unhaltbarer Zustand

Ein unhaltbarer Zustand Zaugg betont, dass der Status quo politisch und humanitär nicht haltbar sei. «Es braucht neue politische Wege, um die tödlichen Fluchtrouten zu schliessen.» Die EKS setzt sich daher für legale Zugangswege durch UNO-Resettlement-Programme ein, die seit 2013 besonders gefährdeten Flüchtlingen aus Krisengebieten wie Syrien oder Afghanistan eine sichere Aufnahme in der Schweiz ermöglichen sollen. Doch zurzeit wurden diese Programme ausgesetzt: Die Kantone verweisen darauf, dass ihre Aufnahmekapazitäten erschöpft seien.

Die Politik müsse insgesamt für Transparenz sorgen, um die Hintergründe von Asylentscheiden besser nachvollziehbar zu machen, fordert Zaugg. Die Kirche setze sich für eine gerechte Verteilung und Integration ein, um die Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten zu stärken. «Menschen mit Bedenken zur irregulären Migration sind nicht per se fremdenfeindlich.» Das zeige sich etwa an der Solidarität mit ukrainischen Geflüchteten.

Bundesrat Beat Jans (SP) hatte das Postulat als Anlass begrüsst, «sich einen Überblick über die Projekte in anderen europäischen Ländern zu verschaffen». Den Vorstoss winkte der Ständerat ohne Gegenstimme durch.

Verschärfungen zeigen erste Wirkungen

Die Zahl der Asylgesuche ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. 2021 waren es knapp 15 000, 2022 wurden 24 500 und 2023 über 30 000 Gesuche gestellt. Der Blick in die jüngste Statistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) zeigt aber, dass die vom Bundesrat Anfang Jahr beschlossenen Verschärfungen wie etwa die 24-Stunden-Verfahren greifen. Im August wurden 2214 Asylgesuche re­gistriert, was ein Minus von 26 Prozent gegenüber August 2023 bedeutet. Viele Anträge, insbesondere von Afghanen, stammen von bereits in der Schweiz vorläufig aufgenommenen Personen. Diese Gesuche belasten die Asylstrukturen somit nicht zusätzlich.