Gesellschaft 30. Mai 2024, von Anouk Holthuizen

Was die Kirche weltweit für den Frieden leisten könnte

Diplomatie

Zahlreiche Regierungsleute versuchen derzeit, die Konflikte auf der Welt zu entschärfen.  Die Hauptarbeit leistet aber die Zivilgesellschaft – auch die Kirche. 

Die Friedenskonferenz für die Ukraine auf dem Bürgenstock Mitte Juni rückt eine nie endende Aufgabe ins Rampenlicht: Friedensdiplomatie. Was derzeit besonders notwendig scheint, wird immer schwieriger. «Die Konflikte in der Welt sind sehr komplex geworden», sagt Achim Wennmann, Professor am Geneva Graduate Institute, der auf dem Gebiet von Konfliktanalysen und Friedensförderung forscht. «Im Gegensatz zu früher sind sie kaum noch durch ein klares Parteienbild geprägt.» Viele der traditionellen Friedensverhandlungen hätten auf zwei Parteien aufgebaut: hier der Staat, dort eine Rebellengruppe, beide gut strukturiert, weshalb man auf einer Eliteebene habe verhandeln können. «Heute ist politische Macht sehr fragmentiert und ein Staat nur einer von vielen Akteuren im weltweiten Konfliktsystem, das durch Klimawandel, Umweltzerstörung, Geopolitik, demografischen Wandel und technologische Revolution angeheizt wird.» 

Heute ist politische Macht sehr fragmentiert und ein Staat nur einer von vielen Akteuren im weltweiten Konfliktsystem.
Achim Wennmann, Professor Geneva Graduate Institute

Friedensdiplomatie erfordert inzwischen formelle und informelle Akteure auf verschiedensten Ebenen, und oft behandelt sie nur Aspekte des Friedens. Ein Beispiel dafür ist die Schwarzmeer-Getreide-Initiative, die es der Ukraine ermöglichte, trotz dem Krieg mit Russland Getreide zu exportieren, was zahlreiche Länder vor einer Hungersnot bewahren dürfte. 

Die Rolle der Schweiz

Die neuen Konfliktbilder unterstreichen die Bedeutung von Genf, und damit der Schweiz, als wichtiger Drehscheibe für Friedensbemühungen. Obwohl inzwischen auch Staaten wie Katar und Oman oder die African Union als Vermittler gefragt sind, hat die Schweiz laut Sibylle Obrist, stellvertretende Chefin der Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM) beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, nach wie vor den Ruf, eine vertrauenswürdige Expertin zu sein, wenn es um die Organisation von Verhandlungs- und Konfliktlösungsprozessen geht.

«Allein in den letzten vier Jahren haben Expertinnen und Experten massgeblich an Friedensprozessen in 21 Ländern mitgewirkt, erfolgreich etwa in Mosambik.» Tatsächlich werde das Lösen von Konflikten aber schwieriger. «Die Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, die UNO und das internationale Recht stehen unter Druck», sagt Obrist vom Aussendepartement. 

Die Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, die UNO und das internationale Recht stehen unter Druck.
Sibylle Obrist, st. Chefin Abteilung Frieden und Menschenrechte EDA

Das internationale Genf ist dabei ein wichtiger Standort für Friedenspolitik. Die Distanzen zwischen den 380 NGOs, 180 diplomatischen Vertretungen und 37 internationalen Organisationen sind kurz, so können Kontakte in alle Welt unterhalten und in heiklen Momenten rasch aktiviert werden. 

Wennmann und Obrist betonen beide, dass Friedensdiplomatie nicht in erster Linie an langen Tischen geschieht. «Zum grössten Teil wird sie von Menschen ohne wichtige Titel geleistet», erklärt Obrist.

Patriarch an der Konferenz

Obwohl seit geraumer Zeit manche Staaten den Dialog mit terroristisch eingestuften Organisationen verbieten und auch die Schweiz dies in Erwägung zieht, ist ein Instrument der Diplomatie ein zentrales Prinzip geblieben: der Versuch, mit allen Konfliktparteien in Kontakt zu stehen.

Da kann die Kirche eine wichtige Rolle spielen. Welche Aufgabe der ökumenische Patriarch von Konstantinopel auf dem Bürgenstock wahrnimmt, ist offen, aber ein Blick nach Kolumbien zeigt, welche Kraft die Kirche haben könnte. 

Zum grössten Teil wird Friedensdiplomatie von Menschen ohne wichtige Titel geleistet.
Sibylle Obrist, EDA

Dort unterzeichneten Regierung und Farc 2016 einen Friedensvertrag, noch immer sind Verhandlungen mit der Dissidentengruppe EMC in Gang. Mit dabei ist damals wie heute die Kirche, etwa der argentinische Mediator Humberto Shikiya. 

Auch Gangs vertrauen Kirche

Zusammen mit dem Mennoniten Fernando Enns vertritt Shikiya den ökumenischen Rat der Kirchen am Verhandlungstisch. Enns wiederum leitet die Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen an der Universität Hamburg. Er sagt im Interview mit «reformiert.»: «Die Kirche ist in Kolumbien die einzige Institution, der alle vertrauen, sogar die kriminellen Gangs.» Und er ist überzeugt, dass die Kirche grosse Kraft entfalten kann, «wenn sie sich dem gewaltfreien Zeugnis in der Nachfolge Jesu verpflichtet weiss». Ihr weltweites Netzwerk bis in entlegenste Gebiete sei dabei ein Riesenvorteil.

Manche Kirchen haben nicht begriffen, dass das Evangelium nichts anderes will als Frieden für diese Welt.
Fernando Enns, Friedenstheologe