Vor zehn Jahren stiess die Crew von SOS Humanity erstmals in See, um Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Damals studierte Laura Crameri Internationale Beziehungen in Genf. «Die Hintergründe, warum es Menschen zur Flucht treibt, haben mich schon immer interessiert», erzählt sie «reformiert.» während eines Telefongesprächs aus ihrer Londoner Wohnung, wo sie seit sechs Jahren lebt.
Heute hat Crameri einen Master in Nahost-Studien, ist Care-Coordinator der deutschen Seenotrettungsorganisation SOS Humanity und leitet die Arbeitseinsätze und Schulungen eines Teams mit 29 Mitarbeitenden. Crameri sorgt dafür, dass die in jedem Jahr wechselnden Freiwilligen und fix Angestellten Hand in Hand arbeiten können.
Zum Team gehören Ärzte, Hebammen, Psychologen, kulturelle Mediatorinnen, juristische Beraterinnen und Berater sowie technische Mitarbeitende. «Während einer Rotation muss jeder Handgriff sitzen, sonst bricht das Chaos aus.» Mit Rotation meint Laura Crameri jenen mehrwöchigen Zeitabschnitt, den die Besatzung auf dem Schiff verbringt, bis die geretteten Menschen in Sicherheit sind.
Schutz der Grenzen
Es gibt Kritik an der Seenotrettung: Sie fördere die illegale Migration, Retterinnen und Retter machten sich zu Komplizen der Schlepper. «Ist wissenschaftlich nicht fundiert», entgegnet Crameri. Das zeigt auch eine Studie von «Scientific Reports». Warum die Menschen fliehen, sei abhängig von Krieg, Katastrophen und Armut. Zudem sei der Anteil der Migranten, die durch zivile Seenotrettung in Italien ankommen, mit weniger als 8 Prozent verschwindend klein, hält Crameri fest.
«Mit ihrer Politik finanziert die Schweiz den Tod dieser Menschen mit», kritisiert sie. Als Mitglied des Schengenraums, in dem die europäischen Staaten die Personenkontrollen und den Grenzschutz gemeinsam koordinieren, unterstützt die Schweiz die Organisation Frontex finanziell. Deren Fokus ist nicht primär der Schutz von Menschen, sondern von Europas Aussengrenzen. So hat die EU den Grenzschutz aufgestockt und die Seenotrettung an die sogenannte libysche und tunesische Küstenwache delegiert.
Für den Alltag von SOS Humanity heisst das: Hilfseinsätze werden durch administrative Schikanen erschwert und verhindert, weshalb Menschen illegal nach Libyen und Tunesien zurückgezwungen werden, wo ihnen Haft und Folter drohen. Statt solcher illegaler «Pushbacks» wäre, so fordert Crameri, ein europäisch koordiniertes Seenotrettungsprogramm, das einhergeht mit den weiterführenden Strukturen an Land, wichtig und effizienter.
Legale Wege schaffen
65.000 Toten in den vergangenen 30 Jahren
Jährlich sterben mehrere Tausend Menschen auf der Fahrt übers Mittelmeer nach Europa. Sie starten in Libyen, Tunesien oder der Türkei und versuchen Italien oder Griechenland zu erreichen. Laut der Liste der Flüchtlingstoten des Netzwerks United for Intercultural Action kamen in den letzten 30 Jahren 65 000 Menschen ums Leben.
Darauf machen die Kirchen und Flüchtlingsorganisationen mit der Aktion «Beim Namen nennen» am internationalen Flüchtlingstag vom 21. Juni vor der Churer Martinskirche aufmerksam. Was kann Kirche noch mehr tun? «Dafür sorgen, dass mein Job überflüssig wird», antwortet Laura Crameri.
Menschen dabei zu unterstützen, dass sie sich gar nicht erst auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer machen müssen, ist auch das Anliegen der
Kirchen. Auf Initiative der Migrationscharta, der Berner Landeskirche und kirchlicher Hilfswerke wird derzeit in Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk und dem Bund ein Pilotprojekt lanciert, das etwa 20 ausgewählten Personen eine legale Einreise und begleitete Integration ermöglichen soll. Die Bündner Landeskirche unterstützt das Projekt.