Zehn Jahre Seenotrettung und kein Ende in Sicht

Seenotrettung

Laura Crameri ist Care-Coordinator auf einem Rettungsschiff von SOS Humanity. Die Puschlaverin erzählt von ihrer Arbeit und was sie von der Schweizer Kirche erwartet. 

Sprachunterricht für alle Geflüchteten

Menschen, die es bis in die Schweiz geschafft haben, können in einem Schweizer Bundesasylzentrum ein Asylgesuch stellen. Wer keinen definitiven Entscheid erhält, bekommt eine N-Bewilligung oder eine vorläufige Aufnahme und wird in einen anderen Kanton verlegt. In Graubünden wohnen sie in einer von acht Kollektivunterkünften, wo sie in Mehrbettzimmern oft Jahre auf einen Entscheid warten müssen. Momentan leben rund 400 Personen mit N-Status in den Bündner Zentren. Sie haben keinen Zugang zu Sprachkursen oder Begleitung bei der Ausbildung, Wohnungs- und Arbeitssuche. Immerhin erlaubt ihnen der Kanton nach drei Monaten zu arbeiten. Die kantonale Fachstelle Integration (FI) ist bemüht, dass nun auch Personen mit N-Status ein Minimum an Deutschunterricht erhalten. Sprachliche Förderung bieten auch Freiwilligenorganisationen wie die IG offenes Davos oder die IG offene Viamala an. 2024 haben 29 Geflüchtete einen Lehrabschluss im Kanton absolviert. 

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Vor zehn Jahren stiess die Crew von SOS Humanity erstmals in See, um Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Damals studierte Laura Crameri Internationale Beziehungen in Genf. «Die Hintergründe, warum es Menschen zur Flucht treibt, haben mich schon immer interessiert», erzählt sie «reformiert.» während eines Telefongesprächs aus ihrer Londoner Wohnung, wo sie seit sechs Jahren lebt. 

Heute hat Crameri einen Master in Nahost-Studien, ist Care-Coordinator der deutschen Seenotrettungsorganisation SOS Humanity und leitet die Arbeitseinsätze und Schulungen eines Teams mit 29 Mitarbeitenden. Crameri sorgt dafür, dass die in jedem Jahr wechselnden Freiwilligen und fix Angestellten Hand in Hand arbeiten können. 

Zum Team gehören Ärzte, Hebammen, Psychologen, kulturelle Mediatorinnen, juristische Beraterinnen und Berater sowie technische Mitarbeitende. «Während einer Rotation muss jeder Handgriff sitzen, sonst bricht das Chaos aus.» Mit Rotation meint Laura Crameri jenen mehrwöchigen Zeitabschnitt, den die Besatzung auf dem Schiff verbringt, bis die geretteten Menschen in Sicherheit sind.

Schutz der Grenzen 

Es gibt Kritik an der Seenotrettung: Sie fördere die illegale Migration, Retterinnen und Retter machten sich zu Komplizen der Schlepper. «Ist wissenschaftlich nicht fundiert», entgegnet Crameri. Das zeigt auch eine Studie von «Scientific Reports». Warum die Menschen fliehen, sei abhängig von Krieg, Katastrophen und Armut. Zudem sei der Anteil der Migranten, die durch zivile Seenotrettung in Italien ankommen, mit weniger als 8 Prozent verschwindend klein, hält Crameri fest. 

«Mit ihrer Politik finanziert die Schweiz den Tod dieser Menschen mit», kritisiert sie. Als Mitglied des Schengenraums, in dem die europäischen Staaten die Personenkontrollen und den Grenzschutz gemeinsam koordinieren, unterstützt die Schweiz die Organisation Frontex finanziell. Deren Fokus ist nicht primär der Schutz von Menschen, sondern von Europas Aussengrenzen. So hat die EU den Grenzschutz aufgestockt und die Seenotrettung an die sogenannte libysche und tunesische Küstenwache delegiert. 

Für den Alltag von SOS Humanity heisst das: Hilfseinsätze werden durch administrative Schikanen erschwert und verhindert, weshalb Menschen illegal nach Libyen und Tunesien zurückgezwungen werden, wo ihnen Haft und Folter drohen. Statt solcher illegaler «Pushbacks» wäre, so fordert Crameri, ein europäisch koordiniertes Seenotrettungsprogramm, das einhergeht mit den weiterführenden Strukturen an Land, wichtig und effizienter.
Legale Wege schaffen 

65.000  Toten in den vergangenen 30 Jahren

Jährlich sterben mehrere Tausend Menschen auf der Fahrt übers Mittelmeer nach Europa. Sie starten in Libyen, Tunesien oder der Türkei und versuchen Italien oder Griechenland zu erreichen. Laut der Liste der Flüchtlingstoten des Netzwerks United for Intercultural Action kamen in den letzten 30 Jahren 65 000 Menschen ums Leben. 

Darauf machen die Kirchen und Flüchtlingsorganisationen mit der Aktion «Beim Namen nennen» am internationalen Flüchtlingstag vom 21. Juni vor der Churer Martinskirche aufmerksam. Was kann Kirche noch mehr tun? «Dafür sorgen, dass mein Job überflüssig wird», antwortet Laura Crameri.
Menschen dabei zu unterstützen, dass sie sich gar nicht erst auf den gefährlichen Weg übers Mittelmeer machen müssen, ist auch das Anliegen der 

Kirchen. Auf Initiative der Migrationscharta, der Berner Landeskirche und kirchlicher Hilfswerke wird derzeit in Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk und dem Bund ein Pilotprojekt lanciert, das etwa 20 ausgewählten Personen eine legale Einreise und begleitete Integration ermöglichen soll. Die Bündner Landeskirche unterstützt das Projekt.