Warum erzielt die AfD bei Bundestagswahlen vor allem in Ostdeutschland Erfolge?
Sabine Wagner: Das ist eine schwierige Frage. Ich denke, Deutschland folgt einem europäischen Trend zu starken nationalistischen Bewegungen. Unsere politische Landschaft war lange ausgewogen, nun wird sie extremer.
Man hört oft, die Ursachen für den Wahlerfolg im Osten lägen in den ersten Nachwendejahren. Was lief da schief?
In den 1990er-Jahren war ich noch ein Kind. Ich erlebte einen grossen Bruch bei den Erwachsenen um mich herum. Viele verloren ein grosses Stück Lebensgeschichte, von Kind auf eingeübte Überzeugungen und Lebensgewissheit. Grosse Unternehmen brachen zusammen. In meiner Heimatstadt bei Zwickau gingen im Autowerk, das Teile für den Trabant herstellte, viele Arbeitsplätze verloren. Die Berufsidentität vieler zerbrach. Der Übergang ins neue Wirtschaftssystem misslang vielen.
Spürt man diese Erschütterung heute noch?
Ja. Die 1990er-Jahre prägen die Menschen noch immer. Ich war schockiert, als die AfD 2019 in Leipzig-Schleussig ein beachtliches Wahlergebnis bei den Stadtratswahlen erzielte. Als Studentin lebte ich dort. Heute ist es ein gut situiertes Viertel. Die Bewohner haben sich nach der Wende auf das neue System eingestellt und Erfolg erreicht. Doch die grossen Unsicherheiten der Wendezeit sind noch spürbar, auch bei Jüngeren.